voelkerwanderungk Unter Kaiser Trajan (um 117 n. Chr.) hat das Römische Imperium die Grenzen seiner Expansion erreicht. Gewiss haben die römischen Eroberungen die Errungenschaften der s. g. Zivilisation in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht in weiten Teilen Europas verbreitet, allerdings all zu oft auf Kosten der Freiheit der unterdrückten Völker.  Ab nun gilt es, das eigene Territorium entlang der „limites“ 21 gegen die Feinde von innen und von außen zu verteidigen.

Die Völker Europas, Asiens und Afrikas befinden sich seit dem II. Jh. n. Chr. zunehmend in Bewegung. Die moderne Forschung spricht eher vom Prozess der „Ethnogenese“ (im Sinne der Bildung der Rechtsgemeinschaft um den Traditionskern des Stammes), als von der Wanderung (im Sinne der Bewegung im geografischen Sinn). Die „gens“ (lat. gens, -es = Sippe, Volksstamm, Volk) sind die Keimzellen der späteren Staaten und Völker aber auch der Sprachen und Schriften.

Der mit der Reichsteilung im Jahr 395 n. Chr. eingeleitete Untergang des römischen Reiches verursachte eine Verlagerung der Machtverhältnisse in Europa. Die zunehmende Konkurrenz zwischen dem West- und Ostteil des Imperiums, sowie die Kämpfe mit den Goten, den Franken, den Vandalen, Alanen und Sueben führt schließlich zum Zusammenbruch des Weströmischen Reiches in den Jahren 476–480. 22

runenrunen Viele der handeltreibenden Sippen haben ihre eigene Sprachdialekte und verwenden Runen als Schrift. Nach den ersten sechs Buchstaben nennt man das Runenalphabet „futhark“. Die Schreibrichtung ist bustrophedonal (wie das Beispiel des „Sharthi-Steins“ in Schleswig – Abb. links – veranschaulicht), wobei auch die s. g. ‚Wenderungen‘ und ‚Sturzrunen‘ bekannt sind. Als Quelle für die Bildung des Runenalphabets wird allgemein das lateinische Alphabet angenommen. Im angelsächsischen England, das neben Skandinavien über die meisten Funde verfügt, wird das Alphabet häufig neben dem Lateinischen auf den Gegenständen benutzt. Die Runenschrift ist auch im Einflussbereich der Franken und der Goten verbreitet. Zur Zeit der normannischen Eroberung im Jahr 1066 hat sich dennoch die lateinische Schrift durchgesetzt und die Runen beinahe vollständig verdrängt.

Was die Deutung der Runen betrifft meinen einige Experten: „Wir können Runeninschriften zwar meist ‚lesen‘ – so wie wir etruskische Texte lesen können – aber ihre Bedeutung ist oft unklar, weil wir wenig über die frühgermanischen Sprachen wissen. Unter ‚Runen lesen‘ verstehen wir heute eine begründete Vermutung auf der Basis spärlicher und zweideutiger Hinweise. Ein Runenforscher meint, das erste Gesetz der Runodynamik laute: ‚Für jede Inschrift gibt es so viele Deutungen wie Gelehrte, die sich damit befassen.‘“ 23

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Futhark Runenschrift besteht aus 24 Glyphen. 24

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Der Untergang des römischen Reiches bewirkte eine Verlagerung der Machtverhältnisse in Europa. Viele germanisch-romanische Stämme gewinnen an Bedeutung und kämpfen um den territorialen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Einfluss: die Ostgoten in Pannonien und Italien, die Langobarden ebenfalls in Italien, die Westgoten in Spanien 25 und Frankreich, die Franken in Teilen Frankreichs und Deutschland und schließlich die Angelsachsen in England.

Als eine der mächtigsten Herrscherdynastien ging aus den kriegerischen Auseinandersetzungen der nachfolgenden Jahrhunderte jene der Karolinger hervor (ab 751: Pippin der Jüngere, dann ab 768: Karl der Große). Das riesige – sich über viele Sprachgebiete erstreckende – Reich musste auch geführt, verwaltet und organisiert werden.

„Die Notwendigkeit, Beschlüsse, Gesetze und Verlautbarungen für das gesamte Reich verständlich zu machen, führte zu einer gemeinsamen Schrift. Es entstand die karolingische Minuskel, die ihren formalen Ausgangspunkt in den altrömischen Schriften hatte. Es war eine aus Kleinbuchstaben bestehende Schrift, deren einzelne Buchstaben breit und rund gehalten waren.“

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Book of Kells

 

Als Sprache des karolingischen Reiches wird das am meisten gekannte und verbreitete Latein verwendet, als Verkehrsschrift dient bis in das XI. Jahrhundert die karolingische Minuskel. Diese Schrift wurde von Alkuin von York – der in Tours tätig war – im IX. Jahrhundert entwickelt. Die neugegründeten Klöster werden zu den kulturtragenden Zentren des Mittelalters und zum Ausgangspunkt der Bildungs- und Missionstätigkeit der Kirche.

Eine bedeutende Schrift dieser Zeit (Ende VIII/Anfang IX. Jh.) repräsentiert das weltberühmte „Book Of Kells“, ein im Trinity College Library in Dublin aufbewahrtes Evangeliar, das um den Kanon des Eusebius von Cäsarea erweitert wurde. Dieser aus 340 Folien bestehende Prachtband wurde in der s. g. Insularen Minuskel (auch Spitzschrift genannt) geschrieben.
Das alttestamentliche Buch Hiob

Abhängig von den Anwendungsgebieten entstanden im mittelalterlichen Europa die Urkundenschrift (z. B. Merowingische Urkundenminuskel, Cancellaresca, die Scriptura elongata der Königskanzlei, die Kuriale der päpstlichen Kanzlei usw.), die Universitätsschriften (z. B. Littera bononensis, Littera parisensis, Bastarda, Textualis, Rotunda) und Humanistenschriften (Humanistica antiqua). Textualis und Cursiva sind zwei Schriftarten, die besonders für die Erstellung von liturgischen Büchern, sowie Herrschern gewidmeten Werken verwendet wurden. Sie werden allgemein in die Kategorie der gotischen Schriften eingeordnet und erreichen im XIV/XV. Jahrhundert ihre Blütezeit.

Weiterführende Information über die Schriften des Mittelalters im Artikel puceMajuskel und Minuskel.
Dort im Detail über:

  • Unziale (IV. bis VIII. Jahrhundert n. Chr.) und Halbunziale
  • Gotische Majuskel (XIII. und XIV. Jahrhundert n. Chr.)
  • Karolingische Minuskel (um 780 bis XII. Jahrhundert)
  • Insulare Minuskel: vom VIII. bis ins XII. Jahrhundert im angelsächsisch-irischen Raum verbreitet
  • Westgotische Minuskel (spanische Minuskel)
  • Frühgotische (ab Ende XI. Jh. bis XIII. Jahrhundert), gotische (XIV. Jh.) und spätgotische (XVI. Jh.) Minuskel
Glagolica Für Europa ist die älteste Schrift der Slawen, das glagolitische Alphabet, erwähnenswert. Sie wurde von dem griechischen Missionar Konstantinos (später Kyrillos genannt) um 860 geschaffen. Diese Schrift behauptet sich bis heute in dem Einzugsgebiet der griechisch-orthodoxen Kirche (Russland, Serbien, Teile Kroatiens, Bulgarien). Das griechische Alphabet kann man nicht als Inspirationsquelle für die kyrillische Schrift bezeichnen. Kyrillisch ist eine Originalschrift, die eine Abzweigung der griechischen Majuskelschrift des IX. Jahrhunderts darstellt. 27

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Für die Entwicklung der Schrift ist die Erfindung des Buchdrucks durch Henne Gensfleisch (besser bekannt als Johannes Gutenberg, 1400–1468), der nach seinen Strassburger Jahren (1434–1444) ab 1448 wieder in Mainz arbeitet, von epochaler Bedeutung. Zwischen 1452–1455 druckt er seine 42-zeilige (lateinische) Bibel:

„Gedruckt wurde schon vor Gutenberg per Holzdruck. Hierbei wurde Papier auf den bearbeiteten und mit Farbe versehenen Holzstock gelegt und abgerieben – ein aufwendiges und langwieriges Verfahren. Grundgedanke der Erfindung Gutenbergs war die Zerlegung des Textes in alle Einzelelemente wie Klein- und Großbuchstaben, Satzzeichen, Ligaturen und Abkürzungen, wie sie aus der Tradition der mittelalterlichen Schreiber allgemein üblich waren. Diese Einzelelemente wurden als seitenverkehrte Lettern in beliebiger Anzahl gegossen, schließlich zu Wörtern, Zeilen und Seiten zusammengefügt.

Urform oder Prototyp für jeden Buchstaben war der Stempel. In die Stirnseite eines Stahlstifts wurde das Zeichen geschnitten, so dass sich ein seitenverkehrtes präzises Relief ergab. Nun wurde der jeweilige Stempel, die Patrize, in einen rechteckigen Block aus weicherem Metall, in der Regel wohl Kupfer, ‚abgeschlagen‘, d. h. senkrecht mit dem Schlag eines Hammers eingetieft. Die so erzeugte Matrize musste nachbearbeitet und begradigt werden, so dass ein rechtwinkliger Kubus mit geraden Seiten entstand. Das seitenrichtige Bild sollte eine einheitliche Tiefe haben, weshalb die Oberfläche mit einer Feile bearbeitet wurde. Um den Guss einer Letter zu bewerkstelligen, entwickelte Gutenberg das Handgießinstrument. Zwei Teile umschließen einen rechteckigen Gießkanal, dessen eines Ende durch Einsetzen der Matrize verschlossen wurde. Nach dem Guss der Lettern im Handgießinstrument musste der Angusszapfen entfernt werden.“ 28

gutenberg-typek Die neue Technologie, die einerseits erstmalig hohe Auflagen von schriftlichen Werken ermöglichte, andererseits auch propagandistischen Zielen diente, legte den Grundstein für die rasche Verbreitung des Geistes der Reformation und der Aufklärung. Die gutenbergsche Drucktechnik wurde in den folgenden 350 Jahren nicht wesentlich verändert.

Ab nun ist jeder Herrscher, Adelige bzw. Wohlhabende in der Lage, sein Gedankengut in schriftlicher Form der Welt zu unterbreiten.

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21    lat. limes, limites = Grenzwall, Schneise.

22    Das Byzantinische Reich übersteht diese Phase weitgehend unbeschadet – knapp 1000 Jahre später am 29. Mai 1453 mit dem Tod des Kaisers Konstantin des XI. endet die 2000-jährige Geschichte des Römischen Reiches.

23    „So liest man Runen“, in: Robinson A., Die Geschichte der Schrift, Albatros Verlag, Düsseldorf: 2004, S. 178.

24    Abbildung nach: „So liest man Runen“, in: Robinson A., Die Geschichte der Schrift, Albatros Verlag, Düsseldorf: 2004, S. 178.

25    Das Tolosanische Reich hat in weiterer Folge während der Reconquista in Spanien identitätsstiftende Funktion.

26    „Mittelalter und Romanik“ in: Typographie – wann wer wie. Friedl F., Ott N., Stein B. (Hrsg.), Könemann Verlagsgesellschaft mbH Köln: 1998, SS. 70f.

27    Mehr zu diesem Thema in: Haarmann H., „Die europäischen Alphabetschriften. Ihre Herkunft, Abhängigkeit und Verbreitung“, in: Der Turmbau zu Babel. Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Band II: Sprache,  Seipel W. (Hrsg.), Kunsthistorisches Museum Wien, Skira editore Milano: 2003, SS 225–231.

28    Quelle: www.gutenberg.de.