Ein Versuch von Kaplan Otto Mauer
„Emitte Spiritum Tuum et creabuntur et renovabis faciem terrae.“
–Es ist die Ursünde des gefallenen Geistes, die Welt als geschlossene Größe begreifen zu wollen, die in sich steht, sich selbst besitzt und sich genügt, deren „Ursprünglichkeit“ und „Endlosigkeit“ sogleich verraten, daß es sich hier um eine tendenziöse Verabsolutierung des Weltlichen handelt, die den Charakter des Götzendienstes trägt. Die Abschließung der Welt nach oben hin, die Inversion aller ihrer Kräfte und Strebungen, der sublime Egoismus dieser scheinbar göttlichen Selbstgenügsamkeit bedeutet die Dämonisierung der Welt; sie ist der unausgesetzte Sündenfall des modernen Menschen; Welt wird zu dem, was Johannes „Kosmos“ nennt: zum Inbegriff widergöttlicher Selbstverkrampftheit und gnadenloser Verhärtung. Allerdings besteht dieser „Kosmos“ nur im Geiste und der Schöpfung der göttlichen Liebe, denen sie Ursprung und Sinn verdankt. Das Verhältnis des Menschen und der gesamten Schöpfung zum lebendigen Gott kann zwar übersehen und verleugnet, aber nicht eliminiert werden.
Es ist dem revoltierenden Geiste einzig und allein möglich, sich von den Lebensquellen des überall einströmenden Gottes abzusperren und dadurch persönlich zu verdorren und abzusterben, es ist aber nicht möglich, die Ordnungen des Heiles und der Liebe selbst zu zerstören, denn ihnen eignet eine göttliche Unverletzlichkeit; sie müssen von der Kreatur positiv oder negativ, willentlich oder widerwillentlich unausgesetzt dokumentiert werden.
Die Welt ist Symbol auf Gott hin. Zuerst ist es der Mensch, der vermöge seiner geistigen Personalität Ebenbild und Abglanz der höchsten Gottheit ist. Abbild seiner Macht, seiner Lebendigkeit, seiner Schöpfer- und Liebeskraft, seines dreifaltigen Lebens. Aber auch auf die untermenschliche Kreatur, auf Tier, Blume und Gestirn, fällt eine Abschattung göttlicher Ähnlichkeit, auch hier ist ein vestigium Dei und vestigium Trinitatis, das sinnbildlich auf den göttlichen Künstler zurückweist. Die Welt als geschlossene Größe ist unmöglich; sie verlangt kausal und exemplarisch einen Urgrund. Alles Irdische hat Bedeutung über sich selbst hinaus. Das entwertet es nicht, sondern erhöht es zur höchsten Würde; Abgeschlossenheit in sich, ist Begrenzung und Enge, Symbolkraft ist Weitung und Erhabenheit, ist die ewige Begründetheit aller Dinge, die sie letztlich konstituiert und von ihrem Wesen niemals weggenommen werden kann.
In der Welt des menschlichen Geistes wird die Symbolik der eigenen Persönlichkeit und des Kosmos bewußt, einsichtig, reflektiert. Es ist am Menschen, seine Symbolik nicht nur einfachhin zu leben, sondern zu bejahen. Das bedingt letzthin die Lebendigkeit und Tiefe des Geistes und hebt ihn über den Kerker seiner Innerweltlichkeit hinaus in die Sphäre der göttlichen Freiheit und der ungemessenen Bejahung alles Daseienden. Lebensbejahung ist nur im Glauben an die Symbolik des Ich und der Welt denkbar, alles andere bedeutet Wirklichkeitsbeschränkung und schließt eine tödliche Negation ein, die vielleicht nicht unmittelbar sichtbar wird, deren zerstörende Auswirkung aber letztlich in den inneren Krankheitszuständen der menschlichen Seele unverkennbar ist.
Damit soll die Existenz einer innerweltlichen Symbolik nicht abgeleugnet werden. Es gibt eine solche zwischen Natur und Geist, es gibt eine des äußeren Lebens- und Schicksalsdramas auf das innere Drama des Menschen hin. Nicht umsonst ist der Mensch Krone und Herr des Kosmos, ja mehr noch: Sinn (wenn auch nicht letzter, so doch mittelbarer) der Schöpfung und Mikrokosmos selbst, in dem sich alles auf einer neuen Ebene widerspiegelt.
So spiegelt das Antlitz der Landschaft die menschliche Seele und ihr Erleben wider, so werden Getier und Bilder des nächtlichen Himmels sinnbildlich auf das menschliche Innere hin, so wird der Wechsel der Gezeiten des Jahres zum realen Hinweis auf das innere Geschehen des menschlichen Herzens. Diese Entsprechungen – und es könnten hundert andere vorgebracht werden – sind weder zufällig noch vom Menschen her erträumt oder konstruiert; es handelt sich auch nicht um bloße Einwirkungen der äußeren Welt auf die Seele, die bestimmte Reaktionen des Gefühles auslösen. Es liegt vielmehr in der Natur die objektive Abbildlichkeit zur menschlichen Welt, sie stellt eine Widerspiegelung derselben auf anderer Ebene dar und wird dadurch zu deren Symbol. Insofern der Mensch durch seine Körperlichkeit Natur ist, eignet auch seinem Leibe dieser Symbolismus auf das Seelische und Geistige hin; hier sogar in einer eminenten Weise, da Körper unmittelbare Entsprechung und Inkarnation des Geistes ist und unausgesetzt unter dessen formender Einwirkung steht.
Ähnliche Sinnbildlichkeit besteht in der Sphäre äußerer Ereignisse historischen Geschehens, auf den inneren Gehalt, das eigentliche Drama im Geiste hin. Auch hier ist nicht nur kausaler Zusammenhang, sondern echte Entsprechung der Ebenen. Der Tod des Sokrates und die Kreuzigung Jesu Christi sind symbolisches Geschehen und bedeuten innere Ereignisse von größten Ausmaßen. Der Schierlingsbecher und der Kreuzesgalgen sind Marksteine und Wendepunkte in der inneren Geschichte der Menschheit.
So unverkennbar aber diese innerweltliche Symbolik ist, so sehr ist sie nur auf Grund der Gott-weltlichen möglich. Nur weil die Welt eine Gottesschöpfung ist, herrscht in ihr ein Symbolverhältnis ihrer Daseinsebenen; deren Aufeinanderordnung und seinsmäßige Entsprechung wäre ohne gemeinsamen Urgrund und planenden göttlichen Intellekt nicht möglich. Und wieder: nur weil die Kreatur ihrem Wesen nach Hinordnung auf das Höchste besitzt und auf dieses hin symbolfähig ist, besitzt sie diese charakteristische Eigenschaft ihres Seins auch auf die Zwischenstufen des Daseins hin, die auch ihrerseits wieder nach oben ausgerichtet sind. Das „sursum corda“ ist die Grundbefindlichkeit der irdischen Existenz; es verleiht, durch alle Stufen und Grade des Irdischen hindurch, diesen aufeinanderhin und durcheinanderhin den symbolischen Ausschlag in das Ewige, dessen Abschattung und Bild sie sind.
Auf einer so gearteten Weltwirklichkeit ruht die Möglichkeit der Kunst auf.
Kunst ist nichts anderes als die Entdeckung dieser wesenhaften Symbolik alles Geschöpflichen durch die Schau des künstlerischen Menschen und der echte Ausdruck derselben im Leibhaftigen, in plastischer Gestalt, in linearer Form und Farbe.
Kunst setzt also die Symbolfähigkeit der Welt voraus. Sie ist keineswegs eine absolute Erfindung des künstlerischen Geistes; ist sie doch Intuition, das heißt: Einblick, Tiefenblick in das Wesen der Dinge, wie es gegeben ist. Kunst ist deshalb objektiv gebunden. Sie kennt keine Willkürlichkeit. Solche objektive Grundlage garantiert auch ihre Begreiflichkeit. Echte Kunst wird dem kongenialen Geiste immer verständlich sein, weil sie sich auf vorgegebene Wesenheiten bezieht, die sie nicht verändern kann, sondern „nur“ zu deuten hat. Diese Deutung allerdings wird eine persönliche, subjektive sein und deshalb auch von unendlicher Mannigfaltigkeit und unerschöpflich immer wieder neuen Aspekten. Die künstlerische Deutung ist nicht die abstrakte der Philosophie, sie gibt den Seinsbestand und Kosmos nicht im Begriffe wieder, sondern aufs neue in Maß, Räumlichkeit und Farbe. Sie ist eine „Abbildung“ der Natur. Aber dieses Abbild bedeutet bei weitem mehr denn simple Reproduktion. Eine solche wäre unmöglich und sinnlos. Immer noch würde die „Natur“ eine solche mit uneinholbarem Abstand übertreffen, nie würde es gelingen, das „Gesamtkunstwerk“ Natur im Kunstwerk adäquat einzufangen. Es könnte nur lächerliche Versuche eines solchen Unternehmens geben, deren innere Sinnlosigkeit darin bestünde, daß sie ständig hinter dem Bedeuteten zurückblieben, ohne ihm in irgendeiner Hinsicht irgend etwas hinzuzufügen. Mögen derartige Bestrebungen der Reklame, der Illustration von Gedanken, der Dekoration usw. durchaus zweckdienlich sein – mit Kunst haben sie auch dann nichts gemein, wenn sie sich deren Namen usurpiert haben. Kunst ist mehr als Wiedergabe: sie ist seherische Entdeckung innerer Wirklichkeiten, die dem Durchschnittsmenschen verborgen sind (und oft auch nach ihrer Aufspürung durch das Kunstwerk noch verborgen bleiben!), sie ist Deutung, die ein eigenes seelisches Organ voraussetzt und keineswegs geringe seelische Kräfte. Darum ist die Forderung, daß Kunst von jedem verstanden werden müßte, von Grund auf albern und nichts als ein einziges und sehr schädliches Mißverständnis. Man kann allenfalls die Forderung stellen, daß die äußere Darstellung im Kunstwerk begreiflich sein müsse (das ist möglich und setzt auch im Betrachter nicht allzuviel voraus); die innere und vollständige Erfassung hoher Kunstwerke aber wird nach wie vor Sache der Esoteriker sein (die allerdings weder mit den Kunstkritikern noch mit den Kunsthistorikern identisch sein müssen!).
Die Wertigkeit des Kunstwerkes wird also von zwei Komponenten abhängen: einmal von der Intuitionskraft des Künstlers; ob es ihm gelingt durch Hülle und Maske hindurch den Tiefenblick zu tun, das Wesentliche zu erfassen, aus dem Reichtum des Gegenstandes das Charakteristische herauszulösen und überhaupt die Fülle. (wenn auch nie die Gesamtheit) des Dinges zu erheben. Es gibt Kunstwerke, die für Jahrhunderte einen Gegenstand auszuschöpfen scheinen, die auf lange Zeithin als der klassische Ausdruck einer Idee gelten, über die hinaus man kaum mehr zu schaffen wagt: das sind die großen Entdeckungen des künstlerischen Genius, die sosehr der Wahrheit verschwistertsind, daß sie überzeugen und verpflichten. So hat Matthias Grünewald das nackte Leiden mit allen seinen Schrecken im Gekreuzigten des Isenheimer Altarbildes ausgesprochen; so hat Albrecht Dürer dem Gottesglauben der Bergpredigt mit seiner unendlichen Väterlichkeit in den „Rasenstücken“ gültigen Ausdruck verliehen. Formal betrachtet wird die Größe eines Werkes nicht von seinem Thema abhängen; mittelbar aber doch: ein großes Thema auszuschöpfen setzt gewaltige menschliche und künstlerische Kraft voraus; die größere Tiefe des Gegenstandes erst ermöglicht den tieferen Einblick. Ceteris paribus wird dort das bedeutendere Kunstwerk sein, wo der bedeutendere Gegenstand ist. Das „große Rasenstück“ kann die ungeheuerliche Kraft des Crucifixus nicht erreichen.
Kunst ist Transformation der Natur im schaffenden Geist und eben diese Umbildung ist der schöpferische Akt des Geistes, der die Kunst begründet. Das Kunstwerk also ist transformierte, vergeistigte Natur, unendlich mehr als Abklatsch und Wiedergabe derselben, es ist ihre Wiederauferstehung in höherer Sphäre, auf die sie hingeschaffen ist und ihre Weiterführung in das Übersinnliche, Überweltliche. Im Geiste liegt der Punkt des Umsatzes, der Angelpunkt der Schöpfung auf Gott hin. Der Geist ist Weg wie der Logos, der Ort der Bewegung von Gott und Welt, der Raum der Vereinigung im Symboldes Erschauten.
Symbol ist immer doppelt gerichtet: von der Natur zum Geist hin, den sie bedeutet, vom Geist zur Natur hin, der sich vermittels des Sinnbildes und in demselben inkarniert und ausdrückt. Beides ist Urtrieb des Geistes und Wesensleidenschaft des Menschen. Das geistige Ich des Menschen hat seelische Funktion: es ist auf Verleiblichung hin angelegt. So ist Kunst Ausbruch des Geistes in das Naturhafte, Gestaltwerdung des Inneren im Sinnlichen, Übersetzung seelischer Inhalte in bedeutende Form und Farbe. Echte Kunst ist jederzeit expressionistisch. Das hat zunächst sehr wenig mit dem historischen „Expressionismus“ zu tun und liegt ungleich tiefer als dessen Anliegen.
Ähnlich liegt demgegenüber auch die „Impression“ im Wesen jeder Kunst; und auch das ist grundsätzlicher als der historische „Impressionismus“. Impression ist mehr als die Oberflächensicht des Objektes – die letzthin übrigens meist wenig Objektivität mehr besitzt ; es ist der gegenständliche Eindruck auf den Künstler, den dieser erleidet und dem er in einem wahren Sinne Antwort, ja sogar Gehorsam schuldet. Wo Dynamik des Geistes, wo Welt als Ausdruck des Übersinnlichen empfunden wird – dort liegt der Ursprung künstlerischer Expression. Ihr liegt eine Leidenschaft zugrunde und Leidenschaften verzehren; Übermaß der Leidenschaft bricht die Form und ergießt sich ins Gestaltlose. Von hier aus erwächst jedem intensiven künstlerischen Ausdruck die Gefahr der Formvernichtung und des Chaos, der Relativierung der Gegenständlichkeit und völligen Subjektivierung der Geste, was zum Gestammel, zur wilden Gestikulation und damit zur allgemeinen Unverständlichkeit führt. Deshalb muß festgestellt werden, daß der Ausbruch des Geistes kein hemmungsloser Schrei sein darf, sondern den Gesetzen einer Inkarnation unterliegt (abgesehen davon, daß auch der Geist selbst Ordnung und Maß ist!): Fleischwerdung des Geistes aber setzt die zu formende Materie voraus, die ihre eigene Gesetzlichkeit, ihre festumrissene Symbolhaftigkeit besitzt. Wenn schon das Material, in dem er arbeitet, dem Künstler bestimmte Arten des Ausdruckes aufzwingt – und „Materialgemäßheit“ eines Werkes ist kein geringes Lob –, wieviel mehr ist der Schaffende an die Gestalten des Daseienden gebunden, wenn er darin Erlebnisse formen will. (Damit ist im Bereich der menschlichen Körperdarstellung etwa keiner sklavischen Anatomie das Wort geredet, die dem Mediziner oder Anthropologen mehr Ehre macht als dem Künstler, aber die Grunderscheinung und Struktur des Menschenleibes kann deshalb in der Expression nicht ausgeschaltet werden und alle so gearteten exzessiv „expressionistischen“ Versuche verfallen letztlich doch der unfreiwilligen Groteske und enden unkünstlerisch in schematisierten toten Gebilden, die kaum mehr dekorativen Wert beanspruchen können.)
Die Verbildlichung des Inneren, Seelischen und Geistigen im Kunstwerk ist wesentlich menschlich. Ihr entspricht anderseits die Ablesbarkeit des Geistigen aus dem Kunstwerk; dieses wird zum Geistträger und ist ein natürliches Analogon zum Sakrament. Es verbreitet seine Atmosphäre und vermittelt Erlebnis und Einsicht. Per visibilia ad invisibilium amorem1) ist auch ein Gesetz der natürlichen Anthropologie und Kosmologie.
Wenn der Mensch in irgend einer Hinsicht als Ebenbild Gottes angesprochen werden kann, dann ist es in Hinsicht seiner schöpferischen Personalität.
Der Mensch ist kein abgeschlossenes Wesen und seine Schöpfung ist noch nicht vollendet. Nicht nur, daß seine Variationsbreite als biologisches Wesen noch nicht ausgemessen ist, daß noch ungezählte Generationen über die Erde gehen können, ohne seine möglichen Typen zu erschöpfen; die in ihrer Gesamtheit – der Breite nach gesehen – die species Mensch ausmachen: der Tiefe und dem Geiste nach betrachtet, kann es den Menschen als Fertigprodukt überhaupt nicht geben; denn Geist bedeutet Leben aus sich selbst und schöpferische Selbstvollendung. Darin liegt das eigentliche Gottesbild und die unverletzliche, höchste Würde der menschlichen Persönlichkeit beschlossen; Erkenntnis der Wahrheit, Ausformung der sittlichen Person und religiöse Vollendung derselben treten nicht als Fertigprodukt göttlicher Omnipotenz auf, sondern sind Gott-menschlichen Ursprungs. Der in seinem Seinsbestand und seiner Grundveranlagung zum Schöpfer konstituierte Mensch hat die erhabene Aufgabe und den beseligenden Daseinssinn, sich aus eigener (freilich jederzeit gottangetriebener) Kraft zu vollenden. Hier liegt ein strukturelles Gesetz des geistigen Kosmos, in dem auch die Kunst ihren Raum einnimmt. Von der Technik bis zur Mystik reicht das Gebiet menschlichen Schöpfertums, durch das Mensch und Kosmos ihre letzte diesseitige, voreschatologische Gestaltgewinnen sollen.
Im Kunstwerk entsteht eine Neuschöpfung. Nie noch war solches da. Es wäre von Natur aus auch niemals möglich gewesen. Gewiß: absolute Neuschöpfung übersteigt die Kräfte der Kreatur und ist der göttlichen Ur- und Allmacht vorbehalten. Der Künstler schafft das dargestellte Wesen nicht seinem Seinsbestand nach; er führt es zu einer „Wiedergeburt im Geiste“.
Die von ihm erschaffene Welt der Kunst ruht auf der ersten Schöpfung auf und kann ohne diese nicht sein; sie ist eben Entdeckung, Deutung und Transformation der Schöpfung in die natur-menschliche, naturgeistige Welt, aber doch „Wiedergeburt“ einer vorhandenen, wesensbestimmten Welt. Der künstlerische Mensch erhebt aus ihr göttliche Ideen und entfesselt göttliche Energien. Er entdeckt das Göttliche Urbild in den Wesen und befreit es; und gerade das ist es, was menschliches Schöpfertum bedeutet. Er hilft allen Wesen zu sich selbst und damit zum Schöpfer hin, denn in dem Maße das Geschöpf sein Wesen vollendet, nähert es sich dem Schöpfer. Die sinnbildliche Zwischenzeit der Kunst besitzt Mittlercharakter (zwischen Geist und Natur) zwischen Gott und Welt; sie erhöht die Welt durch Aktualisierung ihrer Symbolität, spiegelt sie auf der Ebene des Geistes wider, macht sie „geistförmig“ und damit „gottähnlicher“; anderseits: sie schafft Gott durch den menschlichen Geist hindurch Ausdruck im leibhaften, intensiveren, vollendeteren Ausdruck, als er in der Natur unmittelbar vorliegt. Kunst ist eine Schöpfung des Menschen, die Gottes Schöpfung „übertrifft“ und ihrem Ziele näher führt. Sie ist wie jede „Schöpfung“ Wiedergeburt, ist Neu-Schöpfung, Palingenesia dynamisch auf das Ende hin, das eschatologische „Gott alles in allem“. Der Mensch als „alter creator“ aber ist auch als Künstler Werkzeug göttlicher Vollendung.
Kunst ist nicht, wie der Banause meint, unverständlicher Einfall und Erzeugnis der Phantasie und deshalb wirklichkeitsfremd, ja als Reich „unwirklicher“ Träume mit der Wahrheit von Grund auf verfeindet, - Kunst ist auf Wirklichkeit hingeordnet, mit Wahrheit koordiniert. Gewiß ist die künstlerische Erfassung des Seienden unbegrifflich und „alogisch“, weil nicht auf dem schlußfolgernden Verstand aufgebaut; auch ist ihr Ausdrucksmittel nicht das definierende Wort, sondern wiederum Gestalt und Farbe, also Sinnlicheres als es Wort und Buchstabe sind; aber das bedeutet nicht Erkenntnisverzicht; die Wahrheitserkenntnis des Künstlers ruht auf einer seelischen Schaukraft auf, die weltdurchdringend das Symbolische zu erheben vermag; es ist eine der Abstraktion analoge und verwandte Fähigkeit, die schöpferisch die Transformierung des Sinnlichen ins Seelische vornimmt und umgekehrt den Ausdruck des Seelischen im Sinnlich-Künstlerischen; Intuition und Verwandlungskraft, beides ist hier am Werke. Äußerer wie innerer Gegenstand der künstlerischen Kraft ist das Körperhafte und das Seelische, das Personale, Konkret-Geistige. Abstrakte Gedanklichkeit ist kein Objekt der Kunst; wenn sie ohne Verwandlung ins Erlebnis in das Kunstwerk einbricht, entstehen Erstarrung und unfruchtbare Allegorese, Schema und symbolistische Kanonistik; das Ende ist das Mach-Werk. Das Wort ist nichtadäquates Objekt der bildenden Kunst; es ist das nur über den Weg innerer Bildwerdung und ausgewirkt ins Erlebnis. Das Künstlerische wurzelt im Menschen als dem Wesen der Mitte, dessen seelische Personalität ins Geistige wie ins Leibliche reicht und von beiden Schichten her bestimmt ist. Die bildhafte und erlebnishafte Erkenntnis des Künstlers ist dem Konkreten koordiniert und kehrt in der Expression des Kunstwerkes wieder zu diesem zurück; nur ist das Geschaute nun nicht mehr Natur, sondern gezeichnet mit dem Geist, der darin seine Entdeckung der symbolischen Wahrheit beschreibt. Deshalb wendet sich das Kunstwerk wiederum nicht zuerst an den Denker, sondern an den dem Künstler kongenialen Menschen, der die gewonnene Deutung zu erfassen vermag und sie wieder als Reichtum der Welterkenntnis und -erfahrung ins Innere zurücknimmt. Erst von dort aus mag der denkerische Mensch aus solcher symbolischen Schau abstrakte Erkenntnisse formen. Es gibt ein Philosophieren auf Grund künstlerischer Erkenntnisse; sein Vorzug wird eine unausgesetzte Erfährungsgebundenheit sein, es wird den echten und richtigen Ansatzpunkt im Konkreten umso genauer treffen, als es die künstlerische Schau als wahre Sinngebung und Beleuchtung desselben bereits als Basis besitzt. Kunst ist die „Philosophie“ des Konkreten.
Das verantwortungslose „I'artpour l'art“-Geschwätz ließ die Erörterung eines solchen Grundverhältnisses kaum aufkommen; man nahm in echt neuzeitlicher Weise eine Vivisektion des Organismus der großen Lebensgebiete vor und erhob deren absolute Unabhängigkeit zum Dogma. Ein schrankenloser wütiger Libertinismus kämpfte mit Pathos für die Befreiung der Kunst von den ererbten Vorstellungen der Sittlichkeit; die Kunst galt als: das klassische Paradies „jenseits von Gut und Böse“ und der Künstler-Bohemien nahm für sich das Recht „sittlicher“ Willkür unter dem Deckmantel der künstlerischen Geistes- und Schaffensfreiheit in Anspruch.
Diese Groteske enthielt jedoch einen Kern von Wahrheit: Kunst ist allerdings nicht Kunst durch die Darstellungen „moralischer Themen; auch nicht bloß durch die ethische Gesinnung des Schaffenden. Sie ist Kunst durch die Fähigkeit der bildhaften Intuition und die Kraft zum Ausdruck derselben; ihre Wertigkeit und Qualität wird nach Tiefe, Echtheit und Ursprünglichkeit der Entdeckung, an der Eindringlichkeit und Kongenialität der Deutung, am Feuer und der symbolischen Kraft des Ausdruckes gemessen.
Kunst ist außerdem kein bloßes Werkzeug zur Versittlichung der Massen, kein Zweckinstitut im Dienste der Seelsorge (wie sie ja ebensowenig und noch weniger der Unterhaltung und dem Vergnügen zugeordnet ist!). Kunst trägt Sinn in sich selbst als Erfüllung einer wesentlichen menschlichen Leidenschaft, als Lebensvorgang, der in letzter Ausrichtung auf den Schöpfergott hinzielt, von dem aus er Anstoß und Urtrieb bekommen hat; sie braucht nicht erst durch außer ihr liegende Zwecke gerechtfertigt werden.
Es gibt die immanente Sittlichkeit und Religiosität der Kunst: das Seiende in den feurigen Strudel des Geistes zu reißen, zu verbrennen, und als wiedergeborenen, verwandelten Phönix aufs neue ins Dasein zu schleudern. Der Schaffende erleidet eine doppelte Ekstase: einmal: die Hingerissenheit des Geistes durch den furchtbar zwingenden Glanz des Wirklichen, das Aus-sich-selbst-gehoben-sein und Eingetaucht-werden in den Grund aller Dinge, selbstvergessen in den Abgrund der Geheimnisse zu stürzen, deren unwiderstehliche Lockung den Künstler zu hundert Toden treibt. Und: nochmals auszubrechen im Wurf des Kunstwerks, sein Inneres auszuschöpfen und zu verlieren an die objektive Schöpfung, die „Erschöpfung“ des Schaffenden. Zwischen beiden Ekstasen liegt der einzige selige Punkt des Bei-sich-selbst-seins, die mystische Ehe mit der erschauten Welt, ehedenn eine volle Geburt den Geist von neuem sprengt. Das ist das Ethos der Kunst und des Künstlers: sich mit dem höchsten Einsatz eines inneren Todes einzusetzen, damit der Glanz der Wahrheit und das Leuchten ewiger Schönheit und die Erhabenheit und Süßigkeit göttlicher Güte hervorbrächten und die Herzen der Bereiten und Staunenden ständig mit neuen Wundern anfüllten. Die Kunst ist ihrem Wesen nach eine Manifestation der Glorie Gottes, ein Hymnus seiner Herrlichkeit. Diese innere gegenständliche Religiosität, dieses „berufliche“ Ethos des Künstlers aber schließen einen Einbruch des Bösen in das Kunstwerk keineswegs aus. Der liegt nicht in der Darstellung desselben. Das Böse ist ein Sektor der Weltwirklichkeit und seine Entlarvung gehört zu den schöpferischen, ethischen Leistungen des Menschen. Seine Korruption und Krankheit, sein furchtbar blendender Glanz, seine verlockende Süße, seine dämonische Raserei und kalte Ekstase, sein Grauen, seine Verzweiflungen: alles Wirklichkeiten der Seele und Gegenstand echter, tiefdringender Kunst; ad usum delphini erzeugte Gebrauchskunstwerke sind schal und langweilig; sie zehren von einer Lebenlüge und werden den Tag nicht überdauern. Gefährlichkeit und Exponiertheit sind wesentliche Züge im Gesamtbild des irdischen Daseins und garantieren nicht zuletzt seinen Ernst und damit seine Würde. Francisco Goyas schauerliche Impressionen vom Geschehen seiner Zeit, die visionären Fratzen seiner „supranaturalistischen“ Portraits sind eine geniale Demaskierung des Bösen; unzählige mittelalterliche Tafeln schildern die Schauer der Hölle und malen die Groteske der siebengestaltigen Todsünde; von Bosch und Breughel bis Kubin wirkt sie erschütternd und aufrüttelnd. Die menschlich tiefsten Offenbarungen über das Böse haben noch immer den Charakter tödlichen Ernstes, erhabener Sittlichkeit getragen; sie waren ein Aufschrei aus den Tiefen, ein ohrengellendes Metanoeite. Es ist ein anderer Punkt, wo das Böse einbricht: dort, wo dem Künstler der Durchbruch zur Wahrheit mißlingt (Wahrheit ist nur im sittlichen Kosmos der Werte!), wo das Böse dem Gericht entgleitet und der Anbetung verfällt; wo das Gute, durch die Maßlosigkeit der Vergötzung pervertiert, zum Werkzeug der Dämonie wird. Widersittlich ist wilde Adoration des Fleisches in vielen Akten Schiele'scher Zeichnungen; verheerend und innerlichst entartet der kalte Zynismus Grosz'scher Lithographien, die nicht bloß das unbarmherzigste Gericht eines dekadenten Zeitalters und seiner Lebenslügen sind; in denen überdies die perverse Freude an der Fäulnis gleißt und das Funkeln boshafter Augen unbarmherzig zum Selbstmord ladet. Unsittlich wird das Kunstwerk aus der korrupten Tendenz des Schaffenden, aus der ungereinigten Atmosphäre seines Inneren, die das Wirkliche aus seinen Ordnungen reißt, ihm den Akzent der Revolte gibt und es in verlogene Beleuchtung setzt. Das „wahre“ Kunstwerk spiegelt die Wirklichkeit wider und die ist in Grundordnung, Substanz und Tendenz eine göttliche. Weil Kunst Deutung ist; ist sie aber auch Gericht und Urteil; und „wahre“ Kunst ist wahres Urteil über das Antlitz und das Drama der Welt. Kunst ohne Weltanschauung und ethische Überzeugung ist undenkbar, soweit der Gegenstand in den Raum des Geistes hineinreicht. Man kann Kohlköpfe ohne weltanschauliche und ethische Tendenz porträtieren, aber man kann das Thema „Mensch“ oder „Tod“ oder „Liebe“ letztlich nicht bezwingen ohne weltanschauliche Haltung zu besitzen und zu verraten. Zum unmittelbaren „Arbeitsethos“ des Künstlers, wie wir es oben beschrieben, tritt also der sittliche Charakter seiner Gesamtpersönlichkeit hinzu und prägt das Werk. Part pour l´art, wenn es Sinn behalten soll, darf keinen Ausbruch der künstlerischen Sphäre aus der Gesamtheit des geistigen Kosmos bedeuten: die Wahrheit und das Gute normieren auch die Kunst; es gibt kein autonomes Gebiet, das ihrem Zugriff und Gericht entzogen wäre. Dem wahren Künstler eignet ein sittliches Pathos; er fühlt die Berufung, den ungeheuren Glanz der göttlichen Ordnungen, der blöden Augen unsichtbar und unverständlich bleibt, einzufangen und widerzuspiegeln, weiß sich als Deuter und Propheten, als Künder einer höheren Welt, als unbestechlicher Richter, als Führer in heilige und innere Bereiche. Die vollendete Kunst also ist von heiligem, sittlichem Ernst, Offenbarung und Widerschein innerer Ordnung.
Aber auch jene Kunst, die unter dieser Sphäre bleibt oder sie verzerrt, soll des Namens nicht entkleidet werden: Kunst ist dort, wo der geniale Ausdruck des Innern im Äußern gelang. Auch dort, wo Bosheit ausschwärt und ans Licht bricht, wo die Dämonen ihr Geschrei erheben, ist diese Offenbarung; und sie ist nicht nutzlos; sie fördert eine Fülle von Wahrheit und Wert aus dem Abgrund des Herzens an den Tag empor, – weil nichts ganz Krankheit, ganz Bosheit sein kann – sie lebt von einer neuentdeckten Wirklichkeit, wie die Häresie von der Wahrheit, wenn auch die Akzente falsch gesetzt sind und die Richtunggebung irrig ist. Es gibt entartete und entsittlichte Kunst; aber sie bleibt solange Kunst als sie echter Ausdruck eines inneren Erlebnisses ist; sie verläßt den Raum derselben, sobald sie tendenziöses Machwerk, gehaltlose Geste, gebrauchsmäßiges Klischee oder billige Reproduktion ist; sobald die deutende Vision fehlt, oder ihre Darstellung mißlungen oder kraftlos ist.
Freilich: das Kunstwerk im Vollsinn des Wortes wird nur dort sein, wo es zur Offenbarung des wahr und echt Menschlichen wird, wo es den sittlichen Kosmos rein und unverfälscht widerspiegelt und so der inneren Gesetzlichkeit des Lebens Weihe und Glanz wahrt; wo es von der Gewalt und Lebensmacht des Guten überzeugt und zum Erhabenen hinreißt. So wird der Künstler zum Propheten innerer Erneuerung, zum Künder des beseligenden Weges, zum Führer in die Sphäre eines gereinigten, lauteren Daseins, zum Mittler einer heiligeren Welt. Er erwächst zu priesterlicher Würde.
Schönheit der Kunst ist ein splendor veritatis, die Herrlichkeit der entdeckten Wirklichkeit, der befreiten Wahrheit. Das hat nichts zu tun mit der vulgären Auffassung des Verhältnisses von Kunst und Schönheit, als wäre die Kunst ein Reich der angenehmen Harmonien und entzückenden Formen, ein Paradies der Sinne, darin man sich über die Härte der Daseinswirklichkeit traumhaft hinwegtäuschen könne. Kunst ist kein Opiumat. Sie ist weit davon ab, eine unwirkliche, phantastische Welt des Wunders hervorzaubern zu wollen, in der der Mensch vergessen könnte. Im Gegenteil: Kunstschöpfung ist Durchstoß zur Realität, ja gerade zu den tieferen Schichten der Weltwirklichkeit; sie ist eine Deutung von unbestechlicher Gewissenhaftigkeit (man denke etwa nur an das unerbittliche Portrait!), deren symbolische Geste nur dann Gültigkeit besitzt, wenn sie aus dem unausgesetzten Ringen um die Seinswahrheit hervorgegangen ist. Welch ein Mißverständnis, in der Kunst eine billige und verlegene Harmonisierung des Daseins erblicken zu wollen! Von diesem Standpunkt aus, wird der Künstler allerdings mit Recht als Narr und Phantast betrachtet und seine Welt dient im Milieu des geschäftstüchtigen Spießers der Verbrämung und Dekoration des sogenannten „realen“ Daseins. Und doch ist der Künstler der tiefere und wahre Realist; er durchbricht die Oberflächen und stößt zum Wesen vor; er scheut vor keinem Sektor, vor keinem Aspekt der Wirklichkeit zurück. Das Erhabene und das Lächerliche, das Heilige und das Dämonische, das Strahlende und das Häßliche, das Harmonische und das Zerrissene, das Gesunde und das Heillose, das Gewaltige und das Erbärmliche, das Beglückende und das Entsetzliche, das Anziehende und das Widerwärtige – alles wird zum Gegenstand seiner Intuition, wird durchschaut, entdeckt, ans Licht gehoben und gedeutet. Eine Einschränkung der künstlerischen Themen auf das Starke, Heroische, Gesunde, Harmonische, „Positive“ und die entsprechende Ablehnung der Darstellung des Fragwürdigen, Dämonischen, Häßlichen, Elenden ist nichts als eine geschickte Photomontage, die pädagogischen Zweck besitzen mag, aber künstlerisch verantwortungslos ist. Es bedeutet Verharmlosung des Daseins, Proklamation einer Lebenslüge, Entwürdigung des Menschenwesens und grausame Verarmung des Geistes. Die Kunst umfaßt den ganzen Bereich des Daseins. Die zerrissenen Heilande des Matthias Grünewald, ein Urbild menschlicher Marter und Ausgeliefertheit an das Schicksal, Goyas schauerliche Visionen dämonischer Fratzen und menschlicher Erbärmlichkeit, das häßliche Teufelsgeziefer, der groteske Spuk mittelalterlicher Tafeln, Alfred Kubins beklemmende Nachtgesichte und die gespenstischen Halluzinationen eines Edvard Munch gehören genau so in die Geschichte der Kunst, wie die blühende Festlichkeit Rubens'scher Daseinsfreude, die unsagbare Schönheit Raffaelischer Madonnen und die heroische Männlichkeit des Michelangelo öder die Idyllik romantischer Gemälde. Es gibt eine Kunstpädagogik für Jugend und Volk, die auswählt und mit Überlegung anwendet (so wie das im Bereiche der Literatur Berechtigung besitzt); es gibt aber auch das sittliche Recht des reifen und wissenden Menschen auf die ungeschminkte Wahrheit des Lebens, auf die unberaubte Fülle der Realität. Den Menschen unterschätzen, heißt ihn entwürdigen.
Wenn der Mensch das Leben ertragen muß – und niemand wird es ihm abnehmen können – wie sollte er das blutige Antlitz des Gekreuzigten nicht vertragen, oder die Teufelsfratze seiner Peiniger, die ihm beide in tausend Gesichten aus den Werken der wahrhaften Künstler entgegenblicken.
Weder die innere Harmonie des Themas noch die äußere Gefälligkeit der darstellenden Gestalt sind es also, die die Schönheit des Kunstwerkes ausmachen. Das ist der splendor veritatis, der Glanz der Offenbarung eines Wirklichen, die leuchtende und kraftvolle Eruption innerer Wahrheit, die kongeniale Enthüllung eines verborgenen Geheimnisses des Lebens. Diese Schönheit ist umso intensiver, je reiner der Geist des Künstlers die göttlichen Ordnungen widerspiegelt, mit je bejahender Intensität er sie umfaßt, je gültiger und überzeugender er sie ausprägt. Mag die Form dieser Offenbarungen eine gebrochene sein, mag die Wucht der Expression auch zu physischen Verzerrungen und Disharmonien führen, – der inneren Schönheit des geistigen Kunstwerkes tut das keinen Abtrag.
Im Gegenteil: solche Form wird zum „Anstoß“ (oft zum Skandal!) für den Betrachtenden, innere Gehalte zu suchen, und führt so oft eher in den Kern des Ausgesagten, Bedeuteten, als die glatte Form, an deren Oberfläche der Beschauer hängen bleibt. Den Naturalisten freilich wird eine solche Betrachtungsweise unverständlich bleiben, er faßt die Kunst als Reproduktion der Natur auf und weiß nichts von der Symbolität der Gestalt; „Naturtreue“ ist der Gipfelpunkt seines Schaffens. Er verwechselt die pedantische Wiedergabe der Erscheinungsformen mit der Wesenstreue des genuinen Kunstwerkes und schafft sich allenfalls noch den Geruch wahrer Symbolität, durch die Pseudosymbolik schematisierter hieratischer Gesten, die schulmäßig und billig angewendet werden können.
Wer Verschönerungen des Daseins anstrebt, wende sich an das dekorative Kunstgewerbe, wer nach der Kunst langt, kommt nicht nur mit dem Leben, nein, auch mit dem Tod in Fühlung. Die Beschäftigung mit ihr ist kein unverbindlicher ästhetischer Sport, sondern ernst und gefährlich wie das Leben selbst.
Von der „Heiterkeit“ der Kunst sprechen nur Dilettanten und Amateure. Freilich, es gibt ein göttliche Heiterkeit der Kunst: sie ist aus tausend Qualen geboren und ein natürliches Analogon zu dem verklärten Lächeln der durch den Tod Auferstandenen.
Ebensowenig wie der echte Künstler mit dem flotten Bohemien zu tun hat, als den ihn der Spießer denunzieren möchte, ist Kunst die mühelose spielerische Ausschwitzung einer blühenden aber müßigen Phantasie; der Künstler ist ein Leidender, wie es der Forscher und der Liebende sind; seine Existenz ist ein tragische, weil er das Unmögliche zu realisieren versucht und immer wieder von neuem daran zerbricht. Welch ein Leben steht hinter der glühenden Palette des Van Gogh, welcher Abgrund hinter den geruhigten Harmonien eines David Caspar Friedrich. Manchmal bricht es aus, wie in der Todesmystik des späten Corinth und läßt erahnen, wie blutig teuer das Kunstwerk erkauft wird. Sein Schimmer ist nicht zuletzt der Glanz der Träne, sein Leben die Leidenschaft eines menschlichen Herzens. Schönheit ist die Signatur der Echtheit einer künstlerischen Schöpfung. Sie gehört zu den Dingen, die einem „nachgeworfen“ werden, sie ist der immanente Lohn der eigentlichen künstlerischen Tat, wie die Seligkeit der Lohn der Liebe ist.
Kunst und Religion sind ursprünglich miteinander verkettet. Während im technischen Fortschritt der Anfang des künstlerischen Handwerkes liegt, so in der Religiosität, bei allen Völkern und Kulturkreisen, der Ursprung der höheren Kunst selbst. Wenn auch der erste Kult, umwölkt von den Schauern einer gottnahen Urwelt, bildlos ist, und nur die Geste des Kultes selbst und das Wort zur künstlerischen Gestalt werden, so erwacht doch der Urtrieb der Symbolisierung auch des Höchsten in irdischem Stoffe und treibt eine Fülle von Gestalten ans Licht, ein Meer bedeutender Formen auf das Unaussprechliche hin. Freilich kann mit Fug behauptet werden, daß der Kult des transzendenten, einen, lebendigen und „ganz anderen“ Gottes Jahwe, so wie der Urkult unter dem Antlitz erster Gottesnähe, ein bildloser gewesen sei und der eigentlichen Kunst keinen Raum gewährt habe – beginnt doch religiöse Kunst erst dort, wo sie das Gottesbild gestaltet! – gewiß war das Gottesbild in der vorchristlichen Weltzeit der Verehrung der Götter koordiniert und ein Instrument der Verweltlichung und Vergötzung des Allerhöchsten geworden; gewiß – auch der reine Gott der Philosophen war ohne Bild in unberührbarer Geistigkeit geblieben – und doch lag in den Skulpturen der Himmlischen und Chthonischen, der Gottherren und großen Mütter eine instinktsichere unabweisbare Sehnsucht, ein Urtrieb nach dem lebendigen Gott der Bilder, dem Gotte der Inkarnation. Durch die irdische Fleischwerdung des Unsichtbaren, der nach dem Worte des Apostels Geist ist, wurde der künstlerische Urwille des Menschen bestätigt und in das Allerheiligste eingelassen: Der Gott des Neuen Testamentes in Mensch- und Taubengestalt, in Flamme und Brot garantiert die unauflösliche Ehe von Kunst und Glaube.
Von nun an ist das künstlerische Symbol auf den Ewigen, Jenseitigen und Absoluten hin anwendbar geworden, ist ihm die höchste Sphäre der Daseinswirklichkeit, die Göttliche, legitim erschlossen. Das inkarnierte Wort als lebendiges Symbol im absoluten und ersten Sinn des Wortes bestätigt endgültig die Urtendenz aller Künste: auf Gott hin abbildlich zu sein, im Symbol für ihn Zeugnis zu geben. Am intensivsten und unmittelbarsten geschieht das im symbolischen Kult – und menschlicher Kult ist immer symbolisch! – aber auch mit jeder anderen Schöpfung von innerweltlichem Bezug, ist letztlich doch der äußerste gemeint, der religiöse. Wir beschrieben das eingangs. Daß nicht der Mensch, sondern die Gottheit das Maß und Urbild aller Dinge sei, ist nicht nur allen echten Denkern seit jeher eine Grunderkenntnis gewesen, sondern ebenso und noch mehr aller wahren und großen Kunst.
Die Philosophie konnte früh schon säkularisiertwerden (der Grundsatz vom Menschen als Maßstab des Alls war schon ein antik-sophistischer), die Säkularisation der Kunstaber gelang erst dem atheistischen Zeitalter der Moderne; bis in die Wende der Neuzeit noch ist Kunst, auch thematisch, mit religiöser und kultischer Kunst fast identisch und die Atmosphäre der Heiligen weht auch heute noch in den Kunsttempeln der Gegenwärtigen. Diese Kunst dient nur wieder anderen Göttern; aber der Hauch des Sakralen kann ihr auch als Idololatrie nicht verloren gehen. Das hat aber nicht nur Begründung im notwendig religiösen Urbezug des künstlerischen Gegenstandes als Geschöpf zum Schöpfer, sondern ebenso vom Schaffenden her. Keine Leistung der Menschen steht so unter dem Gestirne der Gnade und des Geschenkes wie die künstlerische. Der technische Mensch verfällt am ehesten der Vergötzung seiner Kräfte; der Arbeiter, der Krieger wirken im Bewußtsein der eigensten Leistung. Der Künstler aber und der Gläubige wissen die Wege der Gnade. Kunst lebt von Intuition und kann nicht willentlich erzeugt werden; sie ist ein „Einfall“ von oben her. Kunst ist Ekstase des Herzens; aber nur die magischen Ekstasen der Zauberer entspringen dem rasenden Bemühen des Subjektes; Ihre Mittel sind Tanz und Rauschtränke. Die echte und menschenwürdige Ekstase des Geistes aber kommt nie rein aus dem Innern und seinen krampfhaft willentlichen Zuckungen; sie ist ein Hingerissenwerden des Ich, eine Entfesselung seiner Möglichkeiten, eine Entflammung alter seiner Energien von oben her (ein „von außen her“ wäre entwürdigende Heteronomie, das „von oben her“ ist es, was allein den Menschen über sich selbst hinaus zu reißen vermag, Anteil gibt an höheren, göttlichen Kräften und dennoch bei sich läßt durch die Erfüllung seines ganzen Wesens). Dieses Ekstase des „Über sich hinaus“ nicht nur des bloßen „Außer-sich-geratens“ ist es, die den religiösen statt des magischen Charakters trägt. Sie ist das Analogon zur mystischen Entrückung, der Sturz in die Gottheit; sie setzt die Begeisterung voraus, des Erfaßt- und Gejagtwerdens vom Geiste Gottes, das Überfallenwerden durch eine höhere, übermächtige Welt für deren Zeugnis die Berufung ergeht. Der wahre Künstler fühlt sich dem Geiste verpflichtet, der ihn erfüllt, von dessen Gnaden er Künstler ist; er ist ein Gläubiger und kann nicht anders. Der negative zynische Atheismus ist dem Künstler wesenswidrig wie dem Bauer; wenigstens im Akt der Schau und der Schöpfung. Kunstschöpfung ist nur im Geiste des Vaters möglich, in dem wir „Abba“ rufen. Der Künstler weiß, daß er keiner absoluten Schöpfung fähig ist, daß sein Werk der Schöpferkraft entstammt, die das All durchflutet, derselben, die sich den Künstler als „zweiten Gott“ erschafft zur eigenen Ebenbildlichkeit.
Die künstlerische Tat kommt aus der Mitte des Menschenwesens und ist eine ganzheitliche Leistung, sie ist eine personale Berührung mit dem Leben; sie stammt aus der gläubigen Bejahung einer hintergründigen, höheren Welt, aus dem Vertrauen auf einen Sinn des Daseins. Der schöpferische Mensch ist ein Sinngläubiger; er vertraut auf die Kräfte, die ihn unwiderstehlich über sich hinaustreiben als Vollender einer urgeschaffenen Welt. Arbeiter, Krieger und Denker sind in Versuchung, dem gnadenlosen Ethos der Leistung und Selbstverwirklichung zu verfallen. Der künstlerische Mensch hat andere Struktur; sein Werk ist symbolisch, d. h. nach oben offen und das gibt seiner Existenz religiöse Richtung und Weihe. Alle große Kunst ist offenbar oder anonym eine religiöse. Ein Zurücktasten nach dem Urbild aller Bilder, der göttlichen Wesenheit und Idee aller Dinge. Eine objektive Rückerinnerung an die innergöttliche Existenz der Welt vor aller Schöpfung; eine Wiederverkettung des Kosmos mit dem Schöpfer durch die Aufdeckung seines Urbildes und die Richtungweisung dorthin. Die Signatur „religiöse Kunst“ wird man einer solchen zusprechen, die ihren ausdrücklichen Inhalten und ihrer Gesinnung nach den Hinweis auf das Göttliche zeigt; ferner jener Kunst, deren Atmosphäre eine numinose ist. Die großen Gipfelpunkte des europäischen Schaffens wie Grünewald, Rembrandt, EI Greco zeigen thematisch und „atmosphärisch“ den religiösen Grundcharakter. Matthias Grünewalds Kreuzigungen sind mehr als Manifestationen urmenschlicher Leidenserfahrung, mehr als der Aufschrei gequälter Kreatur; sie atmen die mystische Glut des inneren Todes, der ins Leben stößt, sie sind umwittert vom feierlichen Ernst eines heiligen Dramas und gezeichnet von der Geste der Erlösung, wie der Isenheimer Crucifixus durch das Ecce Agnus Dei des bezeugenden Johannes-T.-Fingers. Welch lohende Verzückung in den Tafeln des El Greco, welch innere Flamme des Geistes! Die Mystik der Teresa v. Avila und des Juan de la Cruz glüht in seinen Farben, lodert in allen Gestalten, leuchtet auf den Tiefen der Antlitze. Solche Offenbarung ist überzeugend; sie schafft jene übermenschliche sakrale Atmosphäre göttlicher Gegenwart, die mit dem Schauer der Heiligen erfüllt und zur Anbetung zwingt.
Die Expression des religiösen Erlebnisses durchbricht die Schranke ästhetischer Bemessung und erweist unmittelbar seine Wirklichkeit. Der deutende Täufer des Isenheimer Altares ist deshalb der Inbegriff religiöser Kunstgesinnung überhaupt, der übermächtige Hinweis auf das Mysterium: ecce! Die verzerrten Glieder, derentstellte Leib des Grünewald'schen Crucifixus (die der Banause als entartet bezeichnen würde), die von der mystischen Flamme gewundenen Leiber des Greco (die man als maniriert zu klassifizieren geruht) überwältigen den Begegnenden durch den rückhaltlosen Schrei des gläubigen Herzens, durch den feurigen Atem der gotterfüllten Seele. (Sie beweisen mehr als alle Madonnen des Raffael.) Mystik und Realismus in unauflöslicher Vermähltheit – die Signatur höchster Kunst und Religiosität im Werke des Rembrandt. Die Dunkelheiten der unzugänglichen Gottheit und der schmale Ausbruch ihres offenbarenden Lichtes auf der Bühne der Menschheit!
Die feierliche Hieratik ägyptischer Tempelplastiken, die kraftgeschwängerte geradezu explosive Dynamik romanischer Skulpturen, der mitleidverzehrte Ernst gotischer Vesperbilder und Schmerzensmänner, die mystische Ungelenkheit herzensfrommer bäuerlicher Heilande und Hinterglasbilder – überall der religiöse Genius, in der fruchtbaren Tiefe der Seele zum höchsten Ausdruck des Menschlichen mit dem künstlerischen Eros feurig verschmolzen.
Aber es gibt auch schwerer zu entdeckende gläubige Kunstwerke, bei denen kein augenfälliges Thema die Gesinnung verrät, sondern einzig die Atmosphäre, der Akzent, die geistige Tönung und Beleuchtung. Albrecht Dürers Häschen, Blaurake und Rasenstücke, die Akelei und der Veilchenstrauß: sind das nur deutsche Gründlichkeit und Herzenswärme, die großen bürgerlichen Tugenden des Meisters? Nein – hier atmet die brüderliche Liebe des gläubigen Menschen zu aller Kreatur, die aus dem Glauben an den vorsehenden Vatergott stammt, der sich der Sperlinge annimmt und die Blume des Feldes prächtig kleidet, der jedes unserer Haare gezählt. Lacht nicht in den blühenden Leibern des Rubens (trotz aller „Fleischlichkeit“) eine unbändige Weltbejahung, die als Hintergrund eine höhere Gesichertheit, den unbeirrbaren Schöpferglauben und eine feierliche religiöse Sanktion alles Irdischen, eine wahre „Katholizität“ (wie Claudel das im „Seidenschuh“ interpretiert) voraussetzt? Atmet die Landschaft des David Caspar Friedrich nicht den Weihrauch der Anbetung, steigt es nicht wie ein Hymnus des Allerhöchsten von seinen Wäldern und Fluren auf? Entspringt der groteske Humor des Pieter Breughel, bar des destruktiven Zynismus mancher Modernen, nicht jener christlichen Weltüberlegenheit, deren befreiendes Gelächter der sturen Ernsthaftigkeit des atheistischen „Menschgottes“ die Nase dreht? Michelangelos titanische Gestalten, voll männlicher Riesigkeit aufgetürmt – sind sie nicht (weit außerhalb des christlichen Themas) ein dröhnendes Echo urgöttlicher Männlichkeit, Macht und Herrlichkeit? Es gibt also Kunst, deren Religiosität anonym ist, aber doch greifbar und augenscheinlich; überzeugender oft als manche religiöse Thematik, durch deren fadenscheinige Bemäntelung eine selbstgenügsame Weltlichkeit unverschämt hindurchlacht; unmittelbarer ergreifend oft als manche fade Geste einer konventionellen, wässerig gewordenen „Religiosität“, deren Leidenschaften sich verflüchtigt haben.
Es gibt aber auch bewußt oder unbewußt eine blasphemische Karikatur religiöser Inhalte, es gibt einen Mißbrauch christlicher Symbole, im entgegengesetzten Sinn. Alfred Kubins „Bilder zur Bibel“: was hat der häßliche impotente Jude, der vom kläffenden Schoßhund des lüsternen Weibes verbellt, geängstigt die Flucht ergreift, mit dem „ägyptischen“ Joseph der Bibel zu tun? Oder jener triefäugige affenstirnige alte Hebräer mit dem Geist des riesigen Moses, dem Freunde des Allerhöchsten? Oder der „Einzug in Jerusalem“: dieser gespenstige Sektierer mit dem fauligen Gebiß und den glasigen Totenaugen, der mit magischer Geste die zerschlissenen Hände hebt, umjohlt von ferkelgesichtigen Gassenjungen, – soll das der triumphierende Jesus sein, wie er königlich in die Heilige Stadt einzieht? Oder Golgatha: Der nackte Verbrecher, verrenkter Leib und verkrampfte Hand, die verdurstete Zunge tierisch weit herausgehangen, das verdrehte Auge – und im Hintergrund vermummte Weiber und einer mit schnapsroter Nase und stierem Blick, den Jesusleichnam abschleppend: ist das das Geschehen unseres Heiles, vor dem wir anbeten? Was waren gewisse bis zur Raserei verzerrte expressionistische Kreuzigungen der Zwanziger Jahre mehr als der wilde gnadenlose Aufschrei eines zerbrochenen Menschen, der seine selbstquälerische Zerrissenheit zu sehr und zu eitel liebte, um je die heilende Gewißheit einer Erlösung erfahren zu können?
Und es gibt eine Kunst, die auf dem Wege – de profundis! – zur Religiosität ist: in den erschütternden Selbstbildnissen (alles wilde Konfessionen!) des Lovis Corinth, wie sie jene kostbare „Selbstbiographie“ gesammelt hat: 2) ein verzweifeltes Ringen um den göttlichen Sinn des Daseins. Sie enden (wie das Ecce Homo des Nietzsche) mit dem roten, dornumwundenen Antlitz, von dem Tränen und Blut tropfen, aus dessen zitternden Augen die Bitte um Mitleid fleht: „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn!“
Kunst und Religion (zusammenfassend): Kunst aus dem Glauben – die höchste Selbstverwirklichung; wesensgerechteste, ureigenste Tat; das, was mit Kunst gemeint ist; Sinn, Würde, Weihe, Inbegriff der Kunst; Unsterblichkeit, Ewigkeit der Kunst.
Kunst, Kult, Leben, hier noch Dreiheit, werden jenseits eins sein. Künstler, Liturge, Heiliger – die Vollender des Kosmos, die Mystagogen einer kommenden Welt.
Die wesensgemäße Verbundenheit zwischen Kunst und Christentum ist oftmals und von beiden Seiten her geleugnet worden; entgegen dem Zeugnis der Geschichte, die das Phänomen „christliche Kunst“ als unwiderleglichsten Beweis einer glücklichen Vermählung, ja innersten ursprünglichen Hinordnung beider Wirklichkeiten aufeinander, durch alle Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart hinein kannte und kennt.
Das Faktum „christliche Kunst“ erleidet von der Welt her folgenden Angriff: christliche Kunst ist nicht; nur religiöse; es sind die Urkräfte des Blutes und der Erde, die Begabtheit des künstlerischen Genius, die immanente Religiosität, heidnisches Gotterleben, der Auftrieb unstillbaren faustischen Dranges zum Absoluten, die solche Kunst inspirieren. Das Christliche sei Form und Fassade der eigentlich menschlich paganen Erlebnisse des naturhaft gläubigen Herzens. Die Madonnen; der ewige Kult des Weibes, seiner Schönheit und Mütterlichkeit; das weihnachtliche Kind, der unsterbliche Mythos des immer neu sich gebärenden Lebens und der Wende zum Heil; die Auferstehungen, der triumphale Sieg der allgöttlichen Lichtes, der Durchbruch aus Nacht und Not zur endlichen Herrlichkeit des Daseins. Mit Empörung wird der Verdacht zurückgewiesen, als könnte das schöpferische Genie des Künstlers jemals dem „Zwange“ dogmatischer Gedankengänge unterworfen sein und in der „Enge“ konfessioneller Bindung seinen Lebensraum finden. Solche aprioristische Interpretation christlicher Kunstwerke ist ebenso schematisch wie billig; sie entbehrt der entscheidendsten seelischen Qualität, die zur Deutung eines Werkes legitimiert: der Fähigkeit zur selbstvergessenen Einfühlung, zum Hinhorchen und vorbehaltlosen Aufnehmen, der fanatischen Objektivität gegenüber der offenbarenden Persönlichkeit des Künstlers.
Gotische Dome sind mehr als der faustische Aufbruch des mittelalterlichen Menschen ins Unendliche; ihr sursum corda weist den personalen lebendigen Gott, der jenseits der Welt steht, sogar jenseits des Herzens. Die Dämmerungen ihrer Räume, die farbige Glut ihrer gläsernen Wände sind eine Objektivierung der mystischen Erfahrung, triefen von der nüchternen Berauschtheit der Meditation. Ihre geflügelten Altäre, wie Seraphschwingen gebreitet, deuten die Gegenwart des inkarnierten Gottgeheimnisses an, die furchtbar erhöhten Kruzifixe predigen ohren- und herzzerreißend den Erlöserglauben der Christenheit. Sie als „negative“ Merkmale einer Kunst amputieren zu wollen, ist nicht nur Barbarei und Mißverständnis, sondern bedeutet eine tödliche Operation am Lebenszentrum, eine Zerstörung jeder Deutungsmöglichkeit von der Wurzel her.
Hand in Hand mit dieser Anfechtung der Faktizität christlicher Kunst geht der grundsätzliche aprioristische Versuch der Symbiose beider Welten. Christentum wird als Verneinung des Lebendigen empfunden, als Fesselung aller ursprünglichen Leidenschaften, als Sterilisierung aller schöpferischen Kräfte und Löschung der freien Persönlichkeit; seine Kreuzeslehre gilt als Negation von Freude, Schönheit und Lebenswillen. Seine Geistigkeit ist als leib- und sinnenfeindlich verrufen und wird mit manichäischem Purismus gleichgesetzt. Seine Eschatologie gilt als Bedrohung des blühenden färbigen Daseins durch eine zynische Geste der Weltverachtung; sein Himmel als blutleere Abstraktion, als kalter schemenhafter Gedanke lebensmüder Gehirne.
Welche Verkennung! Was ist heroischer als das sieghafte Kreuzdes Christus, lebensbejahender als die triumphale Todesüberwindung des Auferstandenen, intensiver und glühender als die feurige Dynamik jenseitiger Gottbegegnung? Was ist erdenbejahender als die Fleischwerdung eines Gottes, der in Ewigkeit Mensch bleibt?
Christliche Kunst ist erweiterter Realismus, Bejahung des bisher Unbejahten, höchster Akt der Tapferkeit in der Begegnung mit der Welt. Welcher überlegene Heroismus des Grünewaldschen Crucifixus gegenüber dem antiken Herakles! Welch überlegene Wirklichkeit der mystischen Landschaft von Toledo gegenüber der Akribie zeitgenössischer Naturalisten! Die weitgehende Säkularisierung der modernen Kunst gegenüber der mittelalterlichen und barocken, der theoretische Aufstand der Weltlichen gegen den christlichen Geist (der nichts anderes als der Heilige Geist selbst ist), können Möglichkeit und Tatsache christlicher Kunstschöpfung und ihre überwältigende innere Größe und tiefere Menschlichkeit weder wegräumen noch ungeschehen machen. "Das Wort ist Fleisch geworden“, und damit zum Eck- und Fundamentstein des Daseins, zum Weg, zur Mitte und zur Fülle des Lebens, ob es jemand will oder nicht.
Eine zweite Bedrohung der Symbiose von Kunst und „Geist“ kommt von der sektiererisch verzerrten Religion her. Sie leistet dem Mißverständnis der „Heiden“ Vorschub und nährt es unausgesetzt. Es gibt christliche Ikonoklasten; sie lehren eine manichäische Verachtung der Natur als Sündenfall der Kreatürlichkeit und kultivieren einen exzessiven Supranaturalismus, der Gott einen Dienst zu erweisen vermeint, wenn er seine Schöpfung herabsetzt; der der Sünde eine Allmacht zuschreibt, wie sie der Schöpfer kaum besitzt und ein tiefes Mißtrauen gegen alle unbefangene Freude des natürlichen Menschen in sich trägt. Es gibt eine reinliche, kalvinistische Scheidung zwischen Gott und Welt, die jeder Mystik, ja jeder Organik entbehrt und zuletzt zu einer emanzipierten entgotteten Welt und einem isolierten puritanischen Christentum als ihren unerquicklichen Zerfallsprodukten führt.
Jede Denunzierung des Menschlichen und damit des künstlerischen Genius bedeutet ein Mißtrauen in die göttlichen Möglichkeiten der Welterlösung, eine Verneinung der Inkarnation und die Revolte eines erneuerten, potenzierten Sündenfalles. Das Christliche schwebt nicht im luftleeren Raum des Nichts, es ruht auf dem Suppositum der Menschlichkeit als Fundament und Mutterboden auf; es ist eine Krönung und Vollendung auf neuer Ebene in neuer, überweltlicher Qualität. Natur und Pneuma sind einer Ehe fähig, weil sie wie Mann und Weib im Urplan des dreifaltigen Gottes vor aller Schöpfung auf einander hingeordnet sind. „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis“, er wird zum Prinzip einer neuen Vitalität, einer ungeahnten wunderbaren Schau des Lebens, eines höheren Realismus mystischer Prägung, ungeheurer schöpferischer Antriebe und jener alles ergreifenden Liebesbejahung des Daseins, die das Signum pneumatischer Schöpfung ist. Der wahre, christliche Künstler, welcher Konfession er auch angehört haben mag, besaß seit je diese innere Katholizität der Gesinnung, die ferne alles pseudoradikalen Katharertums die Fülle der Natur in der Sonne des Geistes, Jesus Christus, zur Blüte bringt. Alle christliche Kunst ist von Natur aus katholisch; sie lebt aus dem Sakrament der Inkarnation, dem Inbegriff alles künstlerischen Symbolismus. Der Protestantismus ist Protest gegen den Menschen und sein Schöpfertum; er ist nur aus jener glücklichen Inkonsequenz kunstschöpferisch, die das natürliche Heilmittel aller Paradoxe ist. Zur Theorie der Frage aber noch folgende Begründung:
Die Grundlegung des positiven Verhältnisses von Kunst und Christentum ist die Fleischwerdung des göttlichen Logos; sie ist die Begründung des Christentums selbst, das nichts anderes als Jesus Christus, der Gottmensch, ist. Die Einwohnung Gottes im menschlichen Fleische ist das Ursakrament des Daseins. Hier ist jene höchste Symbolität des Sinnenhaften auf das Innere, auf den Geist und den Geist-Gott hin, die allein dem ersten Künstler des Weltalles zukommt, dessen Liebesschöpfung aus dem Geiste das Urbild aller Kunst ist. Hier ist Symbol im eminenten Sinne der Identität von Zeichen und bedeuteter Wirklichkeit, von erdhaftem Sinnbild und göttlichster Gegenwart. Das menschliche Kunstwerk ist auf dieses Urbild hin, und nimmt in etwa an ihm teil, weil es göttlicher Kräfte voll ist. Noch intensiver das Christliche: es ist die „gottmenschliche“ Schöpfung des „Begeisterten“ schlechthin; in der Entsprechung von Deutung und gedeuteter Realität neigt hier die Waage immer mehr der letzteren zu und die Vermählung beider wird unauflöslich. In Antlitz und Gestalt des Gottmenschen ist höchste und mystischeste Wirklichkeit im äußersten Außen geoffenbart und dort faßbar geworden. „Ut, dum visibiliter Deum cognoscimus, per hunc in invisibilium amorem rapiamur“, sagt die Präfation der Weihnacht, von der das Geheimnis der Menschwerdung seinen Ausgang nimmt. Das Außen, Fleisch und Erde, Kleid und Geste bedeuten von jetzt ab nicht nur und nicht mehr Gottesfremdheit, Schranke und Distanz mit der Richtung Kreatürlichkeit auf das Nichts zu, sondern Pforte, Weg und Instrument, Raum der Begegnung und Angelpunkt des Heiles. Eine radikale Richtungsänderung, die Metanoia, ist vorgenommen. Kunstwerk wird Heilszeichen, signum redemptionis, ähnlich dem Sakrament, Abschattung des Gottmenschen, der Gottes äußerstes Können und absolute Schöpfung darstellt.
Die Fleischwerdung des Logos ist eine Bestätigung aller Kreatürlichkeit. Gott nimmt kein Wort zurück; weder das erste „Es werde“, noch das zweite und vollendete, das der in die Welt gesprochene Logos selbst ist. Sie bestätigen einander und das erste ist nicht ohne das letzte. Deshalb ist Kunst nicht ohne den Sohn und seine Fleischwerdung; sie lebt von ihm, auch wenn sie sich dessen nicht bewußt ist. Wo sie aber zu solcher Bewußtheit erwacht, mag sie füglich den königlichen Namen einer „christlichen Kunst“ tragen.
Freilich: dies alles hat noch einen Hintergrund: den Ursprung des Sohnes selbst im Vater, die Geburt zur Ähnlichkeit „vor dem Morgenstern“. An dieser Geburt hängt alles. Der Gezeugte ist die ausgeschöpfte Fülle der Gottheit, das Abbild ihres Wesens, das dieses Wesen selbst ist. Die Identität von Bild und Abgebildetem ist hier allein die vollendete; der Sohn ist seinem Wesen nach ident mit der Wesenheit des Zeugenden, denn beider Anteil ist die eine unteilbare ewige Gottheit. Der Sohn ist die Ikone des Vaters, wie er sein Logos ist (das begründet die bildenden Künste neben der Dichtung!); in ihm ist der Vater bildlich abgebildet und manifestiert.
Und weiter: in seiner Fülte ruhen die Bilder aller Kreatur. Jede Schöpfung des dreifaltigen Gottes ist Abbild dieses Ebenbildes; er ist die Planung der Welt, der Abgrund ihrer Reichtümer, in ihm ist alte Gestalt vorgebildet, alle Farbe ist Brechung seines ungeteilten göttlichen Lichtes im Prisma der Geschaffenheit. Er ist „das Ebenbild Gottes des Unsichtbaren, der Erstgeborene aller Schöpfung, denn in ihm ist alles erschaffen, in den Himmeln und auf der Erde“ (Kol, 1,15 f.) Und: „Durch ihn und auf ihn hin ist das All erschaffen“ (Kol. 1,16). Das also ist Ursprung und Sinn der Kunst: Rückdeutung, Rückerinnerung auf „ihn hin“, „in“ dem alles geschaffen ist; mehr noch: Rückführung aller Kreatur in die Ikone des unsichtbaren Gottes, und durch sie zum Vater, dessen Abbild auch der Sohn ist. Das ist die Mystagogie der Kunst. Sie konstituiert ihre währende Verwandtschaft mit dem sakramentalen Kult.
Und alles das geschieht im Heiligen Geiste. Er ist der Geist der Einheit und der verschmelzende Atem der Liebe zwischen dem Urbild des Vaters mit dem ebenbildlichen Sohn. Er ist die drängende Triebkraft der Schöpfung, der Liebesausbruch der Gottheit; er schwebte belebend über den chaotischen Fluten des Abgrundes und gestaltete einen Kosmos; „der Geist des Herrn schmückte die Himmel“; er ist das Band der Liebeseinheit zwischen Schöpfer und Schöpfung, Sohn und Welt, der eine Geist, der der Geist Jesu Christi ist; der Atem seines Leibes, die Liebe zur Gemeinde, Inbegriff und Urtatsache mystischer Vereinigung, – er ist auch der Geist der Künstler, die aus dem Glauben und aus der Liebe schaffen, er inspiriert und begeistert sie durch das Chrisma seiner inneren Salbung zu höchster übermenschlicher Leistung: dem christlichen Kunstwerk, über dem nur mehr das Sakrament steht und der Christus steht.
Die wahre, das heißt die christliche Kunst, ist aus dem Heiligen Geiste und führt in das Mysterium des dreieinigen Gottes, in dem sie ihren Ursprung hat. Jede andere ungetaufte Kunst aber trägt statt des Ebenbildes der Sohnschaft das naturhafte Abbild des Allerhöchsten, das nicht zerstört werden kann; und auch hier ist ein vestigium Trinitatis!
Weil aber der Geist noch nicht gegeben war ehe denn Jesus verherrlicht war und weil der Messias nicht verherrlicht wurde, ohne das Leiden vollendet zu haben, kann christliche Kunst und Kunst überhaupt nur von den Mysterien des Todes und der Auferstehung her begriffen werden.
Die Menschwerdung im Fleische geschieht in Nacktheit und Armut; ihr Endpunkt ist Golgatha, der Mensch ohne Schönheit und Gestalt, zertreten wie ein Wurm, verrenkt und verwundet, ein Anblick voll Schauer und Schrecken. Und bedrohlicher noch: in ihm scheint die Gottheit ihrer Herrlichkeit und Macht verlustig gegangen zu sein, sie scheint ihre Ehre eingebüßt zu haben und der Ohnmacht zu verfallen. Der Sinn des Daseins ist bedroht, seine Fundamente wanken, alle Harmonie scheint zerstört, alle Ordnungen zerbrochen; das Chaos droht mit ungeheuerlichem Rachen und dahinter gespenstert das Nichts.
Der Aufstand der Welt gegen das Kreuz ist uralt; er geschieht nicht nur im eigenen Namen des Paradieses und des elementaren Rechtes auf das Dasein, sondern ebenso im Namen des Glaubens selbst. Er nimmt die Gestalt einer Apologie des Lebenssinnes gegen krankhaften Widersinn, der Religiosität gegen den Atheismus an und wappnet sich mit der sittlichen Empörung des gläubigen Bejahers gegen den verneinenden Kritiker und Pessimisten. Man spielt die paradiesischen Leiber, voll Kraft und Gesundheit, gegen den zerschundenen Crucifixus aus und proklamiert als Aufgabe der Kunst die Entdeckung, Wegbereitung und Propaganda des paradisus voluptatis. Man weist der Kunst (gemäß der landläufigen Weltanschauung) chiliastische Ziele und Aufgaben zu. Aber man vergißt dabei, daß die Kunst kein irreales Traumreich unerfüllbarer, unwürdiger Wünsche darstellt, sondern ebensosehr der Wirklichkeit und Wahrheit verpflichtet ist als die Philosophie. Und die Wirklichkeit enthält nicht zuletzt und unausweichlich das Faktum des Leides. Von dem erlöst nicht dessen Leugnung noch jener alles überschreien wollende „Heroismus“, sondern einzig und allein das Kreuz des Christus. Und weit die Kunst keine phantasievolle Harmonisierung des Daseins zur Aufgabe hat, sondern dessen Verklärung und Sinngebung, ist ihr das Golgatha Jesu kein feindseliges Paradox, sondern das lösende Motiv in der schmerzvollen Tatsächlichkeit des Lebens.
Die Schmerzensmänner, die Ecce Homo und Vesperbilder des Mittelalters, die Kreuztragungen und Crucifixe sammeln wie ein Becken, wie ein saugender Schwamm die Leiden dieser Welt in sich und geben ihnen Sinn und Trost und Ruhe. Sie stehen nicht im Dienste der Lebensvernichtung; fern von Verzweiflung und Zynismus entströmen ihren schmerzdurchfurchten Zügen, den gewundenen Gliedern und durchbohrten Leibern Quellen des Friedens und der Heilung. Es ist nicht der unartikulierte Ausschrei der inneren Not, die hier hörbar wird, nicht die hemmungslose anklagende Revolte der Leidenden, nicht der sinnlose Protest gegen das unabwendbare Schicksal, es spricht aus ihnen das erlösende Vertrauen, der todüberwindende Glaube, die sieghafte Hoffnung und die innerste Verklärung alles Schmerzes durch den guten Sinn: die sich verzehrende, opfernde Liebe, das purpurne Fanal eines mystischen Heroismus.
Freilich: wir verlangen nicht, daß der Gekreuzigte das Arbeitsthema jener idyllisierenden künstlerischen Hübschlinge werde, oder jener muskelprotzenden Naturalisten, deren pseudoheroische Geste Schwächlingen Mut macht; es genügt uns, daß er jenen Heroen und Meistern der Vorzeit Urbild und Inbegriff des Menschlichen und Göttlichen war, und daß er die Besten und Geistigsten der Ringenden immer wieder aufs neue unentrinnbar in seinen Bann zieht. Golgatha kann nicht verschwiegen werden. Weder im Menschen noch im Kunstwerk. Es ist der Durchgangspunkt alles wahren Schaffens und bewahrt vor der Lebenslüge einer unernsten und würdelosen Idyllisierung. Es ist die Krisis des Lebens und der Kunst, das, Kriterium ihrer Echtheit, der Angelpunkt der Wendung zum Absoluten, das unerschütterliche Fundament eines Neubaues, jenseits der Trümmerhaufen einer „chiliastischen“ Welt: sat Crux dum volvitur orbis.
Die Kunst des Kreuzes enthält Problematik, sie greift den Menschen an und erschüttert ihn; sie stürzt ihn um zur Bekehrung des Herzens und schont seiner nicht. Man mag das aus pädagogischen Gründen unangebracht und gefährlich finden und einer neuen Kunst ad usum delphini das Wort reden. Dagegen kann nichts eingewendet werden, sobald man sich entschlossen hat, dem Menschen sein Heiligstes zu nehmen: Verantwortlichkeit und Freiheit der Person. Der Preis aber darf nicht bezahlt werden, ist doch für das unsterbliche Ich jedes einzelnen längst der kostbarste Lösepreis gezahlt worden: das Blut Jesu Christi. „Um hohen Preis seid ihr erkauft“, sagt der Apostel. Unproblematisch ist nur die geistlose „Kunst“. Auch alle Harmonien des reifen Kunstwerkes sind erlittene und errungene Harmonien. Problematisch heißt weder fragwürdig noch unerlöst; das Kreuz ist weder sinnlose Paradoxie (credo quia absurdum!), noch verzweifelte Negation; es ist Heilszeichen. Geheilt aber wird das Zerrissene und Verwundete. Das Problem ist die offene Wunde des Herzens und nicht des Leibes; das Kreuz ist Heilung jener inneren, nicht dieser äußeren Wunde.
So mag also die Gestalt christlicher Kunst, die in der Atmosphäre des Kreuzes gewachsen ist, oft eine zerschlagene und „deformierte“ sein. Der Künstler ertrug die Harmonie der Formen nicht, als er daranging, das schmerzliche Mysterium des Todes zu gestalten; oder: das Erlebnis des inneren Bruches und der Fragwürdigkeit alles Irdischen war zu groß in seiner Seele, als daß er es gewagt hätte, dies „auf dem Wege“ mit einer billigen „Lösung“ verbrämt auf den Markt zu bringen; er schrie es heraus, vielleicht in chaotischen Formen, und befreite sich so von dem Alpdruck, um es wieder und wieder anzugehen bis er die innere Lösung errungen. Es gibt eine Kunst auf die Erlösung hin, eine im Innersten kreuzesgläubige (wie die des späten Corinth und sie ist nicht die schlechteste (jedenfalls langweilt sie nicht)! Die christliche Kunst aber wird sich die Freiheit des Ausdruckes gegenüber jedem kanonistischen Klassizismus und jeder ästhetisierenden Dogmatik wahren; die Freiheit des Kreuzes, den Inbegriff heroischen Schöpfertums.
Noch eine Bedrohung scheint im Kreuz zu liegen: die Relativierung aller irdischen Werte. Wenn das eine Notwendige das Reich und seine Gerechtigkeit ist, wenn das „Rette deine Seele“ zur alleinigen Form des Lebens wird, wenn das Dasein ständig unter den schneidenden Gerichten Gottes steht und die menschliche Existenz in einer unausgesetzten, alles erschütternden Krise – wie soll dann das Zweitlinige neben dem einzig Entscheidenden bestehen können, ja auch nur in Betracht kommen? Ist es nicht unleugbare, durch nichts abzuschwächende Tatsache, daß sich der christliche Heilige seinen steilen Weg immer wieder in radikaler Armut und Entblößung von allem kulturellen Ballast gebahnt hat?
Allerdings: es gibt eine verzehrende Anziehungskraft des Unbedingten, einen heiligen Fanatismus des Absoluten, der bildlos und nackt zum Eigentlichen durchbricht. Er hat eschatologische Atmosphäre. Aber: noch ist das Gezelt dieser Welt nicht abgebrochen; noch ist das Reich und sein Gott in Schleiern und Bildern verhüllt und in trüben Spiegeln reflektiert; noch ist das Zeitalter des Glaubens und nicht der Schau; noch ist die Stunde der Bewährung im Irdischen, des Durchganges durch die Gestalt; noch ist der Weg des Symboles nicht am Ziel angelangt. Solange der Kult existiert, wird die Kunst sein. Solange der Liturge am Altare steht, wird Geste und Farbe, Gestalt und Musik seinen Raum im Heiligtum finden; solange der Schwur des Allerhöchsten an den Erzvater Noe in Geltung steht und Saat und Ernte miteinander wechseln, solange die Stimme des „Wachset und mehret euch und macht euch die Erde untertan“ nicht untergeht in dem Donner der berstenden Schöpfung – wird die künstlerische Schöpfung Geltung haben; auch vor dem Angesichte des Gekreuzigten.
Sie wird sein Gesetz in sich aufnehmen und vor dem Hintergrunde seines Leidens aus den Kräften seines Todes leben. Sie wird die Ekstase seines Überganges und seiner Todesentrückung in der Hingabe des eigenen Schaffens durchstehen, sie wird sich mit asketischer Leidenschaft die Forderung des inneren Sterbens zu eigen machen und auf ihre Art eine Nachfolge des Gekreuzigten vollziehen. Der innere Sinn des Kreuzes ist die Ekstase der Liebe, das Gehorsamwerden bis zum Tode, die äußerste Kenose und Entselbstung, das rückhaltlose Schlachtopfer des Eigenen, die Verschenkung an den Vater. Ist das aber nicht die Ur- und Triebkraft des künstlerischen Aktes? Was ist Kunst also anderes – ethisch betrachtet – als ein Sonderfall jenes selbstvergessenen schöpferischen Dienstes am Menschen, der das Reich aufbaut und den Zugang zur Vollendung eröffnet? Warum sollte das Kunstwerk weniger bedeuten als der Liebesdienst jenes Bechers mit Wasser, von dem das Evangelium sagt, daß er seines Lohnes nicht verlustig gehen werde? Der christliche Künstler ist Asket und Mystiker, sofern er Künstler sein will, sein Weg läuft wie jeder christliche ex umbris et imaginibus in veritatem. 3) Sein sachgemäßes Ethos hat (wie das Lebensethos der Mütter) die Gestalt des Kreuzes. Kunst und Christenleben – muß jene nicht christlich strukturiert sein, um Kunst zu sein? Ist dieses kein Kunstwerk? Und werden beide jenseits nicht das gleiche sein? „Dichtung, ... und Tod – und Liebe ... sind sie nicht dasselbe?“ 4) – Wie sollte also der Künstler des Kreuzes entbehren?
Golgatha ist nicht Endziel, sondern Durchgangspunkt, Tat der Entscheidung, aber nicht der Vollendung. Erlösung bedeutet nicht nur „Von weg“, sondern noch mehr „Auf hin“. Das Kreuz ist der Weg der Verklärung; ihr Durchbruch heißt Auferstehung, ihre Vollendung Himmelfahrt. Die Auferstehung Jesu Christi ist die einzige Garantie für den Bestand des Daseins und die Möglichkeit der Kunst. „Wär' er nicht erstanden, die Welt, die wär' vergangen“, sagt das mittelalterliche Osterlied.
Natur bietet keine Sicherung. Sie ist auf den Tod hin und vom Nichts umlauert. Sie entbehrt der Rechtfertigung eines endgültigen Sinnes. Alles hängt an der Tatsache der Errettung durch das Pascha des Herrn.
Mors porta vitae, 5) und zwar die einzige und absolute. Kunst ist – wie das Leben – ein sinnlos grausamer Versuch, wenn Christus nicht auferstanden; sie zerschellt an der eisernen Wand des Unmöglichen, sie bedeutete nichts anderes als die tragisch-„perverse“ Veranlagung des Menschen auf ein nicht Existentes hin; das Dasein des Künstlers, des Denkers und des Menschen überhaupt erschiene als ein Produkt blutiger Ironie, eines sadistischen Zynismus.
Wenn Kunst Symbol des Absoluten ist (und weniger zu sein ist unter ihrer Würde und hebt sie auf!) – wenn kein Absolutes ist oder doch für mich nicht ist, weit ich von ihm verdammt bin –, wozu die nutzlos verweisende Geste, planlose Leidenschaft, anstatt der kühlen Verzweiflung, die dann das Schaffen erübrigte?
Der künstlerische Mensch ist ein Gläubiger und nur Gläubige vermögen zu schaffen; ihr Glaube ist Heilsglaube; Glaube für mich und dich. Wie soll aber geglaubt werden ohne Evangelium? Der immanente Glaube bleibt im Endlichen und das Endliche ist mit dem Tod bezeichnet, dem Verfall und der Verwesung ausgeliefert; und letztlich dem Nichts. Darum ist die Botschaft vom Auferstandenen (Botschaft gründet auf Tatsachen, nicht auf Meinungen darüber!) die Möglichkeit des künstlerischen Glaubens und damit der Kunst selbst. „Wir haben den Herrn gesehen“ ist die unmittelbare Gewißheit des Heiles und der, dem sie widerfahren, ist zum Apostel und Zeugen geweiht. Das ist nun der Künstler: Prophet eines neuen Bundes, authentischer Zeuge der Osterbegegnung, Herold der Auferstehung! Und weiter: die Auferstehung, die Jesus zum Christus macht, ist der Ursprung einer neuen und höheren Welt des Geistes, der Anbruch des letzten Stadiums der Weltgeschichte, der „letzten Stunde“, der höchsten Einigung und Verähnlichung des Irdischen mit dem Dreifaltigen, der „Vergottung“ aller Kreaturen nach dem Maße ihrer Fähigkeit. Der Geist des Christus, das „Feuer“, das der Himmlische im Pfingsten auf die Erde geschleudert, wird zum Lebensquell der Verklärung. Ihm entspringt das Sakrament und die geheiligte Gemeinde als Symbole des Vollendeten. Die Symbolität ist durch die Taufe der Welt und des Christen in eine äußerste Linie gerückt: sie deutet diesen innersten Kern des Gottgeheimnisses, den Abgrund der Dreifaltigkeit, den pneumatischen Lebensgrund selbst. Sie erschließt uns das Herz und den Schoß der Gottheit. Die Kunst der Getauften und Wiedergeborenen trägt als gottmenschlicher Lebensakt die Signatur des Geistes, sie deutet in das Allerheiligste und erhebt sich, wie der johanneische Adler, in menschlich unzugängliche Sphären. Die Verwandtschaft von Kunst und Sakrament wird offenkundig: beides Symbolität über den Raum des Irdischen, ja des Kreatürlichen schlechthin hinaus, gnadenhafte, inspirierte Schöpfung; dieses als heilige unfehlbare Ordnung, jene als freies Charisma.
Die Maler östlicher Ikonen bereiteten den Schoß der Seelen durch Askese und Konzentration für den „Einfall“ des Geistes, den Inspirator der eigentlich christlichen Kunst. Vielleicht ist in die russische Ikone und die Mosaiken der antiken Basilika die Welt der Verklärung am deutlichsten und überzeugendsten eingegangen. Die hieratische Gestalt, deren innere symbolische Struktur selbst dem blöden Auge unverkennbar ist, das verklärte Leuchten der goldenen Hintergründe, die gemessene Feierlichkeit und ruhende Vollendung aller Geste schaffen im Schauenden eine Atmosphäre himmlischer Helle, unsäglichen Friedens, triumphaler Erhebung, überirdischer Leichtigkeit, geistiger Beschwingtheit; sie entzünden das mystische Feuer des Herzens, entfachen die Freude und stimmen den Hymnus unsterblichen Jubels an.
Das Kulturbild (ein Sonderfall des thematisch-christlichen Kunstwerks) ist dem Sakrament am nächsten verwandt. Es steht in unmittelbarer Beziehung zum sakramentalen Ritus, deutet ihn aus und schafft einen inneren Weg zu ihm. Die Mysterien des Jesuslebens und unserer Heiligung sind sein immerwährendes Thema. Es dient nicht nur der Bebilderung und pädagogischen Nahebringung der Grundtatsachen unseres Heiles, sondern der Symbolisierung derselben; das Kultbild ist Sakramentale – continet quod significat, 6) heißt das alte theologische Axiom vom Sakrament, das hier analoge Geltung hat. „Adoratio crucis“ ist mehr als „Verehrung“ des Kreuzeszeichens. 7) Es ist die Anbetung der hinter dem Kruzifixe stehenden Wirklichkeit, die irgendwie mit dem Zeichen selbst verwachsen ist und von ihm ausströmt. Kirchliche Weihe und freies Charisma des Künstlers – beide erst schaffen das Kultbild, die Ikone. Das verstand noch die Romanik, kaum mehr die Gotik, nicht mehr die psychologisch-naturalistische Moderne. Die biblia pauperum der Gotiker ist Historie, Epos und Bebilderung. Die sakramental-symbolische Geste ist matter und nur noch von ferne. Das neuzeitliche Kultbild entwächst dem Geiste der Liturgie und sinkt zum „thematisch-christlichen Kunstwerk“ herab. Man konnte es aus dem Kultraum ohne Schaden in den privaten versetzen. Es wird museumsreif. Die hieratische Geste (die Signatur konzentrierter Symbolik) verflüchtigt sich und der Versuch taucht auf, von unten her, durch psychologisch-naturale Schilderung das Unbeschreibliche zu beschreiben, das Unsichtbare abzubilden. Die Aura verschwindet oder erstarrt zum schematischen Embleme.
Gesteigerte Menschlichkeit sucht das unfaßbar Überweltliche darzustellen; Konzentration von Schönheit, Kraft, Innerlichkeit erheben den Anspruch, die Ebene des tanzanderen, Innergöttlichen zu berühren, ja zu besteigen: das Jüngste Gericht der Sixtina, die Altartafeln des Barock. Malerei und Plastik folgen dem Schwergewichte der neuzeitlichen Architekturen.
Gotik ist transzendentale Mystik statt der kultischen, Barock psychologische. Sie kennt wohl die Inkarnation, aber wenig das „paschale Mysterium“; noch weniger die eschatologische Geste. Die kultische Kunst ist in Krise geraten (und wie sollte es anders sein – boten doch Theologie und Frömmigkeit keine Basis mehr dafür!). Das Nazarenertum war der blutleere, etwas langweilige Versuch einer hierarchisierten Renaissance der Gotik; Beuron mehr Zirkel als Leidenschaft. Die moderne Kultkunst steht noch im Kunstgewerbe; nur da und dort das große gemessene Pathos eines Ergriffenen, der, inspiriert von romanischen oder modernsten Architekturen (denn auch diese gehen wieder vom Sachlichen ins Symbolisch!) und von der Atmosphäre des österlichen Mysteriums (das zwischen Epiphanie und Eschatologie als treibende Mitte steht), dem mystischen Geschehen Ausdruck schafft. Freilich: vielleicht wird die europäische Kathedrale der Zukunft (ob das noch einmal gelingen wird?) fern jedem rigoristischen Liturgizismus alle drei Schichten des christlichen Bildes in sich enthalten: die kultische Ikone (Pascha und Parousie repräsentierend); die heilige Historie (Gotisch wie der Kreuzweg; das Leben Jesu wiederbildend mit dem Drama von Golgatha im Mittelpunkt) und das neuzeitliche Andachtsbild (geformt vor allem aus den Kräften der Fleischwerdung). Der Dom – ein Kosmos christlicher Kunst!
Die russische Ikone, die Mosaiken antik christlicher Basiliken allein erschöpfen nicht die Sphäre der „verklärten“ Kunst: das Wehen des pfingstlichen Geistes atmet aus tausend Schöpfungen der christlichen Ära; der Lichtglanz einer jenseitigen Welt bricht plötzlich aus den Linien einer Landschaft, flammt auf in den Augen eines Porträts, bildet den unwägbaren goldenen Hindergrund einer Szene. Eine unfaßbare Heiterkeit, eine unirdische Leichtigkeit zeigt die stille Berührung des Geistes an, ein Lächeln spielt die Begegnung mit dem Verklärten wieder, eine Geste kündigt die stürmische Hoffnung an; ein Frühling hat österliches Antlitz, die Berge einer Landschaft dröhnen wider im Triumphe einer Himmelfahrt. Ausgesprochen und verborgen durchtränkt das Pneuma der Auferstehung die Werke der Schaffenden und prägt ihnen seine Signatur auf: schimmerndes Licht, sieghafte Freude, schwebende Heiterkeit, stürmischen Rausch des Geistes, mystische Nüchternheit, festliche Strenge, flammende Kühle, lebendiges Feuer; tausendfältige Gestalt, Sprache, Farbe, aber innerste Einheit, der Atem der Liebe. „Loquebantur variis linguis apostoli: magnalia Dei!“8) Die Grundmelodie solcher Kunst, die erhabene Geste ihres Ausdrucks ist das österliche Alleluja, das neue Lied einer jungen, anbrechenden Welt. Feierliche Engel und Heilige früher merowingischer Reliquiare und Elfenbeinplatten, impressionistische Fresken antiker Katakomben, die glühende Expression der Isenheimer Auferstehung, EI Grecos „Eröffnung des fünften Siegels“, voll mystischer Witterung des Aufbruchs, Glasfenster früher Kathedralen erfüllt mit transparenten Feuern, die himmlische Klarheit der Ikone „Heilige Dreiheit“ eines Andrej Rubeljew – alles ein Blitz nur, ein Abglanz, ein Ausbruch desselben; wie der Lichtglanz Gottes im Antlitz des Moses, die Sonne des Angesichtes Christi auf dem Berge, die blendenden Engel zu Seiten des Grabes, die Flamme des heiligen Pfingsten, das “Ewige Licht“ – der Totenliturgie.
Van Goghs wahnsinniger Hunger nach Helle der Farbe und Lichtglut – der Aufschrei eines irren Herzens, das dem Erstandenen begegnet ist, und seine „erste Liebe“ sucht.
Die Verklärung der Welt ist das letzte Thema der Kunst; wie der Liturge in der österlichen Nacht die heiligen Öle des Geistes in das wartende Gewässer mengt, so „mischt“ der Künstler den Geist in die Farben. Er meißelt das Antlitz des himmlischen Christus aus dienenden Steinen und treibt es hervor aus glänzendem Metall. Christliche Kunst ist dynamisch (nicht in sich geschlossen, wie die vollendete Schönheit der griechischen Statue); auch der hieratische Gestus kultischer Werke, die vom Frieden der ewigen Welt berührt sind, zeigen die mystische innere Bewegung rauschender Engelsflügel, den feurigen Glutstrom schwingender Seraphim, den hymnischen Tanz seliger Geister; sie ist Vulkan, explosives Symbol, welterschütternder Auftrieb ins Vollendete. Sie läßt die Struktur des Kommenden ahnen: die „Vergottung“ „Götter seid ihr und Söhne des Allerhöchsten!“9) des Menschen und durch ihn aller Kreatur, die seufzt und in Wehen der Geburt liegt und auf die Offenbarung der Herrlichkeit der Söhne Gottes harrt. „Vergöttlichung“, aber nicht Entmenschlichung: das apokalyptische Jerusalem steigt vom Himmel herab und es wird eine neue Erde sein. Ihrer Parousie ist die Kunst zugeordnet; ihr gilt die verzehrende Leidenschaft aller Schaffenden, ihr sind alle Schmerzen der „Gebärenden“ geweiht. In ihre Arme treibt der geheime „quälende Stachel im Fleische“, sie erahnt und berührt das Herz in den Ekstasen der schöpferischen Liebe. Vor der Vollendung aber steht noch einmal furchtbar und lodernd: das Gericht.
Die schneidende Wirklichkeit des Gerichts ist gleich dem Kreuze eine neue letzte und intensivste Bedrohung alles Weltlichen. Wenn die Himmel aufgerollt werden, die Erde schwankt wie ein Schiff im Sturm, wenn die ragenden Häupter der ewigen Berge stürzen und Meere in Empörung aufschäumen; wenn die Elemente schmelzen, die Gestirne erlöschen und herabstürzen – sollte das nicht das Ende, mehr noch, die Sinnlosigkeit der Kultur bedeuten? Wenn der Mensch nackt und bloß vor dem Schreckenstribunal des Richters erscheinen muß und die innersten Absichten der Herzen erforscht werden; wenn über jedes unnütze Wort Rechenschaft abgelegt werden muß und altes auf der Waage ewiger Wertigkeit gewogen wird – was soll da die Vorläufigkeit künstlerischen Bemühens? Wird sie nicht mit dem Prediger als „Nichtigkeit“ und „Nichtigkeit der Nichtigkeiten“ verworfen werden und auf den Kehrichthaufen des Überflüssigen der Masken und Vermummungen geworfen werden?
Und doch hat sich die Kunst durch die apokalyptischen Visionen des Gerichtes nicht zerstören lassen; ja mehr noch – sie hat die große Krise in den Bereich ihres Schaffens einzubeziehen gewagt; sie schreckten weder die posaunenden Engel, noch der furchtbare Blick des Richters, sie wich nicht zurück vor dem schauerlichen Sturz der Verdammten, noch vor dem Aufbruch der verwesten Gräber. Von den Apsiden der Basiliken blitzt das durchbohrende Auge des Christus, in hundert elfenbeinernem Reliefs zeigt ihn das frühe Mittelalter als den gewaltig Thronenden, die Romanik ist erfüllt von der Atmosphäre seiner Wiederkunft, vom Dröhnen der himmlischen Trompeten; tausend gotische Tafeln schildern dramatisch bewegt, die Auferstehung des Fleisches, die Scheidung der Geister und das atemberaubende Urteil. Mit titanischem Gestus umreißt Michelangelo, für Jahrhunderte gültig, das Drama der Entscheidung; und Rubens wirft mit Leidenschaft die Katarakte stürzenden Fleisches auf die Leinwand. El Greco ist Mystik und Apokalypse dasselbe.
Den „Letzten Dingen“ vermag sich keiner zu entziehen: was sind die Schrecken Goyascher Gesichter anderes als die tief und unentrinnbar in das abendländische Bewußtsein eingegrabene Wirklichkeit des Gerichtes? „Der 3. Mai 1808“, die bedeckten Gesichter, die die starrenden Läufe des Todes fliehen, die rettungslos gebreiteten Arme des schutzlos Aufgereckten, das Ende allen Heroismus, die nackte Angst. Das Porträt der Maria-Louisa – ist das nicht ein Akt der Verdammnis? Und sind die „Desastres de la guerra“ nicht moderne Eschatologie? Über den beißenden unerbittlichen Humor des Daumier bis zum dekadenten Zynismus des Henry Lautrec- ist das nicht der säkularisierte und zuletzt entartete Nachklang jenes weltöffentlichen Richterspruches, den die Mittelalterlichen schon in den Ohren gellen hörten? Irrsinnsbilder des Kubin und Halluzinationen („Sterbezimmer“ etwa!) des Edvard Munch sind sie nicht verspätete Nachfahren eines Hieronymus Bosch und seiner Höllenwelt, des Breughel und der Totentänze? Und was ist Van Goghs „Kaffeehaus in Arles“ mit seiner gähnenden, schreienden Leere anderes als der Schrei nach dem absoluten Urteil?
Nein – die Eschatologie des Christentums zerstörte die Kunst der Europäer nicht; im Gegenteil: alle Dramatik des Daseins beruht auf ihrem zerreißenden Dilemma. Die absolute Krise bedingt den Ernst der Geschichte, ja schafft erst ihre Möglichkeit, das Entweder-Oder, vor das der erschienene Christus die Welt gestellt hat („Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet!“), das er in seiner Parousie vollziehen und offenbaren will, erhebt das irdische Geschehen über jede vegetative biologische Evolution hinaus erst in den Bereich des Geistes, der Freiheit und Entscheidung heißt. Kultur, und Kunst im besonderen, sind kein pflanzlicher Organismus, der aufschießt und verfault; sie stammen aus der Bewußtheit des Geistes, aus dessen Gegenüber mit dem Ewigen, Absoluten. Nur im Angesichte des lebendigen Gottes („Ich bin der ich bin“) und seines Christus („Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“), der die Krise und der „Skandal“ der Welt ist, kann jene Kunst gedeihen, die mehr ist als animalische „Ausdünstung“ dumpfer Gemüter, die ihrer Personalität und Geistigkeit noch kaum bewußt sind.
Der Künstler vollzieht das unerbittliche Gericht über sich und seine Zeitgenossen; er steht auf der Seite des kommenden Christus mit jenem Fanatismus der ungeschminkten Wahrheit, die das Zeichen aller echten Prophetie ist. Er fürchtet die Zerstörung der geliebten Erde nicht, er glaubt zu tief an sie und ihre Ewigkeit. Er hilft am Abbruch der vermorschten Weltgebäude mit, legt selber Hand an zur Vernichtung; er schürt die fressenden Feuerbrände und reißt die Sterne vom Himmel; er löscht die Sonnen und verheert die blühenden Felder, er führt den Tanz der wilden, alles verschlingenden Wogen an und seine Stürme brechen krachend die ragenden Gipfel der Wälder; er scheut sich nicht, die schönsten Leiber zu versehren, sie mit Fäulnis zu umgeben und bis aufs nackte Gebein zu entblößen. Es ist ein fiebernder, brennender Wahn der Zerstörung, der ihn antreibt. Denn er plant die Auferstehung der Toten! Er glaubt die Verklärung des Fleisches! Er hofft die „Vergottung“ der Erde für sich und alle Welt – die Apokatastasis des ganzen und einen Kosmos!
Kreuz und Apokalypse – Angel und Zielpunkt aller Geschichte; Fleischwerdung und Epiphanie, Golgatha und Ostern, Gericht und Herrlichkeit – immer wieder Leben aus Tod, Seligkeit durch Leiden, Licht aus Finsternis – das ewige Thema des Lebens und der Kunst.
Das also ist „christliche“ Kunst: die vom Erlebnis der Schöpfung durchstößt zur Wirklichkeit des inneren Dramas der Schöpfung, zur reißenden Dynamik des Geschehens, zur Überwindung der Welt in der Überwelt des dreifaltigen Gottes.
Durch Christus und in Christus, dessen Leib der Kosmos ist, im Heiligen Geiste der Einheit und der Liebe kehrt alle Kreatur in den Schoß des Vaters heim, von dem sie ausgeht. Dann ist „Gott alles in allem“.
Und dieses Gottes Liturgie, Evangelium und Prophetie – das ist die Kunst!
1) s. Präfation der Weihnacht.
2) Verlag S. Hirzel, 1926.
3) Aus Schatten und Bildern der Wirklichkeit
4) Charles Morgan „In Sparkenbroke“
5) Tod – Tor des Lebens.
6) „Enthält, was es bedeutet“.
7) Obwohl das zunächst philologisch-historisch gerechtfertigt erscheint.
8) „Es sprachen in vielfältiger Zunge die Apostel: Ruhmestaten Gottes“ (Pfingstmontag, Allelujavers der Messe).
9) Joh 10,34 (Ps 82,6).
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